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| Buchcover: || [[Bild:978-3886634095_AGWA_09.jpg|250px]] - Heft 9, Fernwald, 1989. 168 Seiten. ISBN 978-3886634095
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| Titel: || '''[[Archiv_für_die_Geschichte_des_Widerstandes_und_der_Arbeit|Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit]]; Bd. 9'''
 
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| Erscheinungsjahr: || 198X
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| Erscheinungsjahr: || 1989
 
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| Umfang, Aufmachung: || Broschur, 168 Seiten
 
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| Preis: || 11,00 EUR
 
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| Direktkauf: || bei [https://www.alibro.de/Philosophie/Theorie/Anarchosyndikalismus/Archiv-fuer-die-Geschichte-des-Widerstandes-und-der-Arbeit-Bd-09::5386.html aLibro, der DadAWeb-Autorenbuchhandlung]
 
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Der moderne bürgerliche Nationalismus in allen seinen Varianten ist zweifellos eine Ideologie, die dem internationalistischen Anspruch der klassischen Arbeiterbewegung grundlegend widerspricht. Auch wenn bereits in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die nationale Frage in der Arbeiterbewegung mit zunehmender Heftigkeit diskutiert wurde, war es der Krieg, der jegliche bis dahin gepflegte internationalistische Ansprüche ad absurdum führte. Als in den folgenden Jahrzehnten die nationalen Befreiungsbewegungen der kolonisierten Länder zur Projektionsfläche einer vorgeblich internationalistisch gesinnten antiimperialistischen Linken gerieten und somit nationalistische Bewegungen mit internationalistischen Argumenten hofiert und unterstützt wurden, war der ursprüngliche Internationalismus endgültig zu einer banalen politischen Ideologie mutiert; an diesem ursprünglichen, an keinerlei nationalistische Bewegungen in welcher Welt auch immer sich bindenden Internationalismus hielten seither allenfalls noch kleine marginalisierte Gruppen fest. Interessant und merkwürdig in diesem Zusammenhang ist, daß einzig dem jüdischen Nationalismus von Beginn an in und von der Linken mit Mißtrauen und schließlich mit zum Teil heftiger Ablehnung begegnet wurde. Juden sollten sich, so der klassenübergreifende Konsens im Kontext der jüdischen Emanzipation seit der Aufklärung, entgegen den sonstigen allerorten aufbrechenden nationalistischen Bestrebungen quasi beispielhaft in die jeweiligen Gesellschaften und sozialen Milieus integrieren; auf sie wurde somit jener internationalistische Anspruch projiziert, den einzuhalten die Arbeiterbewegungen selbst nicht in der Lage waren, so daß sich die Frage stellt, ob und inwieweit diese Projektion nichts anderes als ein Spiegelbild des klassischen rassistischen Antisemitismus ist, der den Juden u.a. einen den jeweiligen Nationalismus untergrabenden Internationalismus unterstellt. Der Zionismus als jüdische Nationalbewegung hat vielfältige Ursachen, Wurzeln und inhaltliche Ausprägungen und ist ursprünglich eine insbesondere in Osteuropa entstandene Bewegung der materiell, kulturell und religiös unterdrückten und marginalisierten jüdischen Bevölkerung gewesen. '''Kay Schweigmann-Greve '''gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die unter jüdischen Sozialisten unterschiedlichster Richtung in Rußland vor dem Ersten Weltkrieg geführten Debatten zur sozialen und kulturellen Situation der ostjüdischen Bevölkerung und über Perspektiven einer nicht nur sozialen, sondern auch nationalen Emanzipation. Der aus der Gegend von Witebsk stammende '''Chaim Zhitlowsky''', der um die vorletzte Jahrhundertwende auch einige Beiträge in deutschsprachigen sozialistischen Zeitschriften veröffentlichte, symbolisiert gewissermaßen auf exemplarische Weise die mentale und intellektuelle Spaltung zwischen zu nationaler Selbständigkeit drängender jüdischer Identität auf der einen und klassischer jüdischer Emanzipation im Sinne einer von der jeweiligen Gesellschaft erwarteten oder auch geforderten Assimilation auf der anderen Seite. In seinen beiden hier abgedruckten, zuerst Anfang des letzten Jahrhunderts in russischen Zeitschriften erschienenen Texten kritisiert Zhitlowsky einen redundanten ökonomistischen Materialismus, der nicht nur soziale, sondern auch kulturelle und mentale Probleme auf eine Klassenfrage reduziert und entwickelt seinerseits im Kontext der entsprechenden Debatten unter jüdischen Sozialisten die Ansicht, daß auch ein internationalistisch gesinntes Proletariat nicht nur auf seine Klassenlage und die daraus resultierenden Probleme reduziert werden kann, sondern sich bewußt sein sollte, daß es auch von den jeweiligen nationalen Traditionen beeinflußt ist und bleibt.
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'''Hans Schafranek''' beschäftigt sich in seinem einleitenden Beitrag mit einer Problematik, die sicherlich nicht nur im Kontext jener Ereignisse von Interesse ist, denen sein Augenmerk gilt. In Österreich war im Juni 1933 die NSDAP verboten worden, im Februar des darauffolgenden Jahres kam es zu einem Arbeiteraufstand gegen das autoritäre Dollfuß-Regime, der mit einer vernichtenden Niederlage endete, und im Juli 1934 unternahmen gleichzeitig, aber unabhängig voneinander die österreichische SS und SA Putschversuche, wobei Bundeskanzler Dollfuß zwar erschossen, das Regime aber nicht gestürzt wurde. Im Kontext dieser Ereignisse, besonders des gescheiterten Aufstandsversuchs vom Februar 1934, so der Ausgangspunkt von Schafraneks Arbeit, kam es in Teilen der Arbeiterschaft zu einer Verlagerung des Feindbildes. Jetzt waren es vielfach nicht mehr in erster Linie die Nationalsozialisten, sondern das Dollfuß- bzw., nach dessen Tod, Schuschnigg-Regime, mit dem die Arbeiterschaft und ihre Organisationen sich auseinandersetzten. In dieser Situation, in der Nationalsozialisten und Linke gleichermaßen unterdrückt waren, ergaben sich im Widerstand gegen das verhaßte System mancherlei Annäherungen, die Schafranek skizziert und auf ihre Inhalte hin reflektiert. Es sei hier nur angemerkt, daß damit ein Problemfeld angesprochen ist, das gerade auch in bezug auf die letzten Jahre der Weimarer Republik noch seiner Aufarbeitung harrt.
  
'''Egon Günther '''knüpft mit seiner Rekonstruktion der Lebensgeschichte der 1900 geborenen Hilde Kramer-Fitzgerald an seinen im letzten ARCHIV veröffentlichten Beitrag über die aus Bayern vertriebene "Spartakistenfamilie" Gabriele Kaetzlers an. Hilde Kramer, die einige Jahre im Landschulheim Gabriele Kaetzlers lebte, hatte sich in jungen Jahren voller Elan in der Münchener Räterevolution engagiert, war in den zwanziger Jahren für die KPD und die Kommunistische Internationale tätig, wurde 1929 aus der Partei ausgeschlossen und konnte 1937, da sie wegen ihrer Heirat mit Edward Fitzgerald die englische Staatsbürgschaft erhielt, mit ihrem Sohn noch rechtzeitig nach England ausreisen. Ihr Leben ist wohl typisch für jene Aktivist(inn)en, die zum einen das tragende organisatorische Gerüst kommunistischer Parteien ausmachten, zum anderen immer wieder zum Spielball politischer und ideologischer Interessen und Schachzüge wurden; so daß es nicht weiter verwundert, daß sie sich am Ende ihres Lebens (sie starb 1974) wünschte, sie ''"hätte Naturlehre studiert, anstatt sich mit Politik zu beschäftigen"''.
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In eben jene Phase deutscher Geschichte begibt sich '''Ulrich Linse''' mit seiner Skizzierung der Geschichte der „Schwarzen Scharen“, einer in der bisherigen Forschung nicht berücksichtigten antifaschistischen Kampforganisation aus dem Umkreis des Anarchismus. Die Freie Arbeiter-Union Deutschland (FAUD), die in den sozialen Auseinandersetzung in den Anfangsjahren der Weimarer Republik eine nicht unbedeutende Rolle gespielte hatte, war ein gutes Jahrzehnt später zu einer eher unbedeutenden Organisation geworden, in der ein zwar reges Innenleben mit einer weitgehenden Einflußlosigkeit nach außen einherging. Ausgehend von Oberschlesien, bald aber auch in Berlin und in anderen Provinzen Fuß fassend, entwickelte sich mit den „Schwarzen Scharen“ eine innerorganisatorische Oppositionsströmung, in der vorwiegend jugendliche Anarchisten bzw. Anarchosyndikalisten ein Betätigungsfeld für die zunehmend militanten Auseinandersetzungen in der Endphase der Weimarer Republik fanden.
  
Salomo Friedlaender, manch einem vielleicht eher unter seinem Pseudonym Mynona oder als Mitarbeiter an der von seinem Vetter Anselm Ruest herausgegebenen Zeitschrift "Der Einzige" als "Individualanarchist" bekannt, ist ein ungemein produktiver Autor gewesen, der nicht nur Grotesken und Romane, sondern auch wichtige, wenn auch heute weitgehend vergessene philosophische Werke in der Nachfolge Kants geschrieben hat. Darüber hinaus hat er sich in den zwanziger Jahren, wie '''Detlef Thiel '''in seinem Beitrag dokumentiert, aus unterschiedlichsten Anlässen auch immer wieder sozial und politisch engagiert, auch wenn er stets auf kritischer Distanz zu den damaligen sozialistischen und kommunistischen Organisationen und zum marxistischen Denken überhaupt blieb. Die Dokumentation versammelt zum einen Texte von Friedlaender selbst, zum anderen Petitionen und Aufrufe, die er unterschrieben hat und zeitlich von einer Petition für den von der Berliner Universität relegierten Ernt Joël aus dem Jahr 1916, über Aktionen zum § 175 des Strafgesetzbuchs, für die "Internationale Arbeiterhilfe", das Kinderhilfswerk der "Roten Hilfe", zur Rehabilitierung von Max Hoelz bis zu einem Aufruf zur schließlich erfolgreichen Aufhebung der Todesurteile gegen die "Scottboro Boys", acht junge Farbige in den USA, aus dem Jahr 1932 reichen.
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Mit der Frage, ob und inwieweit die spezifischen Reaktionen der Arbeiterfrauen auf die sich zunehmend verschlechternden Lebensbedingungen während des Ersten Weltkrieges zur Delegitimierung der staatlichen Herrschaft beitrugen, beschäftigt sich '''Ute Daniel''' in ihrem Beitrag über „Frauen in der Kriegsgesellschaft 1914-1918“. In dem Maße, so ihre These, in dem sich die staatlichen Bürokratien als unfähig erwiesen, eine adäquate Lebensmittelversorgung zu garantieren, sahen sich insbesondere Arbeiterfrauen, die in erster Linie und unmittelbar mit diesem Problem konfrontiert waren, genötigt, in direkten Aktionen ihre Interessen zum Ausdruck zu bringen und somit die bis dahin weitgehend anerkannte Autorität des Staates in Frage zu stellen. Mit dem Ende des Krieges und der gerade auch von sozialdemokratischer Seite gestützten Reetablierung des staatlichen Machtgefüges sahen sich die Frauen jedoch wieder in ihre traditionellen Rollen verwiesen.
  
Schon bevor der Bürgerkrieg den spanischen Anarchosyndikalismus und Anarchismus zum Mythos werden und vielfach als solchen auch erstarren ließ, übte dieser offensichtlich auch außerhalb von Spanien über seine Anhänger im engeren Sinne hinaus eine gewisse Faszination aus. Anfang der dreißiger Jahre unternahm '''Emil Szittya''', der bereits in seinem 1923 erschienenen "Kuriositäten-Kabinett" über seine Begegnungen mit gesellschaftlichen Außenseitern und Randfiguren jeglicher Couleur berichtet hatte und zu diesem Zeitpunkt in Paris lebte, eine "Reise durch das anarchistische Spanien", von der ein nachgelassener, hier erstmals von '''Walter Fähnders '''und '''Rüdiger Reinecke '''herausgegebener und kommentierter Reisebericht zeugt. Szittya berichtet zum einen in historischer Perspektive über soziale und politische Hintergründe und Besonderheiten des spanischen Anarchismus, zum anderen über seine Begegnungen nicht nur, aber insbesondere mit Anarchisten, so daß sich insgesamt ein zweifellos sehr subjektiv geprägtes, aber gerade deshalb auch sehr anschauliches Bild der stark von prämodernen und vorindustriellen Mentalitäten geprägten sozialen Probleme ergibt, die einige Jahre später die Auseinandersetzungen im Bürgerkrieg bestimmen sollten.
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Ähnlich widersprüchlich verlief der Emanzipationsprozeß der aus bürgerlichem Milieu kommenden Mädchen, die sich in der Jugendbewegung der Vorkriegszeit engagierten. Hin- und hergerissen zwischen den auch im Kontext der Jugendgruppen an sie herangetragenen traditionellen Rollenzuschreibungen und dem eigenen Bestreben, aus eben jenen Zuweisungen auszubrechen, erwiesen sich, so '''Sabine Behn''', die neugewonnene Selbständigkeit und das entsprechende Selbstbewußtsein als erste Schritte zur Überwindung bürgerlicher Verhaltensnormen. Im Schnittpunkt zwischen der an traditionellen Weiblichkeitsnormen orientierten Ideologie der Jugendbewegung und den konkreten Aktivitäten der Mädchen entwickelten sich Erfahrungen, die lebensgeschichtlich bedeutsam wurden.
  
Antikapitalismus ist seit jeher kein Privileg der Linken gewesen; die konservative Sehnsucht nach einer ständisch strukturierten vorkapitalistischen Welt bei gleichzeitiger Bejahung moderner Technologien lief jedoch immer schon Gefahr, eine totalitäre Gesellschaftsordnung zu extrapolieren, in der das Individuum nur noch als funktionaler Teil eines organischen Ganzen betrachtet wird. Wie ein gesellschaftlich Ganzes zu funktionieren habe und wie das Individuum in dieses Ganze einzuordnen sei, ist wiederum eine Frage, die sich auch der Linken seit jeher stellte. '''Gerhard Hanloser '''konfrontiert in seinem Beitrag die totalitäre Vision, die Ernst Jünger in seinem 1932 erschienen antimarxistischen Buch "Der Arbeiter" entworfen hatte, mit einigen perspektivischen Überlegungen des damaligen Rätekommunisten Heinz Langerhans zur Verschmelzung von Kapital und Staat zu einem neuen Subjekt, dessen Neuorganisation der kapitalistischen Arbeitsverhältnisse in seiner allzu optimistischen Vision im Rahmen einer auf Weltkrise und Weltkrieg folgenden Weltrevolution von den sich in Räten organisierenden revolutionären Arbeitern in eine nunmehr proletarisch bestimmte planetarische neue Arbeitswelt transformiert werden könne.
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Mit der Rezeption Georges Sorels - ein Theoretiker, der die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Reaktionen erfahren hat - im Kontext der „konservativen Revolutionäre“ der zwanziger und dreißiger Jahre beschäftigt sich '''Michael Buckmiller''' in seinem Beitrag „Sozialer Mythos und Massenbewegung“. Georges Sorel, für Buckmiller unzweifelhaft ein Theoretiker, der mit seiner Theorie des gewaltsamen sozialen Massenstreiks nur aus dem Kontext der Arbeiterbewegung heraus zu verstehen ist und auch in diese hinein wirken wollte, ist von den konservativen und rechten Intellektuellen ihren Zwecken und Zielsetzungen entsprechend uminterpretiert worden. In dieser Rezeption Sorels reduziert sich dessen Gedankenwelt auf eine ihren eigentlichen Absichten entgegengesetzte formalisierte Theorie, in der Sorels gegen die bürokratisierten Arbeiterorganisationen gerichtete positive Bezugnahme auf soziale Massenbewegungen wiederum für eigene politische Zielsetzungen verfälscht wird. Eine solche positive Bezugnahme auf den machbaren Mythos und die darin implizierte Instrumentalisierung von Massen gewinnt auch heute wieder zunehmend an Aktualität, insofern ein allgemein zunehmendes Bewußtsein einer Sinnkrise zu entsprechenden Bewältigungsstrategien, speziell auch von konservativer Seite, geradezu herausfordert.
  
Simone Weil, 1909 in Paris geboren und 1943 in der Emigration in England gestorben, ist in der Nachkriegszeit, wenn überhaupt, als einem mystisch interpretierten Katholizismus zuneigende Philosophin jüdischer Herkunft bekannt geworden; daß sie sich in ihrer Jugend für Arbeitslose engagierte, zeitweise ihre Arbeit als Lehrerin unterbrach und in einer Fabrik arbeitete und sich schließlich für kurze Zeit auch an der Seite der Anarchosyndikalisten im Spanischen Bürgerkrieg engagierte, wird einem eher existentialistisch oder gar religiös motivierten Engagement für die Armen in der Tradition christlicher Mystiker zugesprochen. Tatsächlich, so zeigt '''Charles Jacquier '''in seinem Beitrag über diese in ihrer intellektuellen und moralischen Stringenz fast schon exemplarische ''"Militante der extremen Linken"'', war Simone Weil jahrelang im Milieu der radikalen antistalinistischen Linken aktiv und veröffentlichte regelmäßig theoretische und auf aktuelle Ereignisse Bezug nehmende Beiträge in heute kaum noch bekannten und schwer zugänglichen Zeitschriften. Diese Linke konnte in Frankreich zwar an Traditionen des gewerkschaftlich zu dieser Zeit noch stark verankerten Anarchosyndikalismus anknüpfen, sah sich jedoch zunehmend zwischen Sozialdemokratie und dem seit Mitte der dreißiger Jahre auch in Frankreich zunehmend dominanter werdenden stalinistischen Parteikommunismus zerrieben, so daß sich die Spuren des Engagements von Simone Weil nur noch aus den überlieferten Dokumenten kleiner Zirkel und Gruppen am Rande der großen Arbeiterorganisationen rekonstruieren lassen.
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'''Martin Henkel''' und '''Peter Kröger''' beschäftigen sich in polemischer Absicht mit zwei Autoren, die im gegenwärtigen öffentlichen Bewußtsein in unterschiedlicher Weise präsent sind. Jürgen Kocka, Bielefelder Modernisierungstheoretiker, hat sich in der Historikerdebatte der vergangenen Jahre des öfteren als Gegenspieler seiner konservativen und rechten Kollegen zu Wort gemeldet. Martin Henkel arbeitet heraus, daß Kockas Interventionen nichts anderes bezwecken, als die Etablierung einer alternativen, sozialdemokratischen Variante von zustimmungsfähiger Vergangenheit und historischer Identitätsstiftung. Rudolf Bahro, lange Zeit enfant terrible der „Grünen“, hat sich mit seinem letzten Werk, der „Logik der Rettung“, ins spirituelle Abseits begeben. Ein Werk, das jedoch, so Peter Kröger, allenfalls Ausdruck der Krise ist, als dessen Lösung es sich anbietet.
  
In den diversen Fraktionen der Linken hat man sich lange Zeit der Illusion hingegeben, daß die eigenen Parteigänger(innen) aus welchen obskuren Gründen auch immer gegen gerne ausschließlich in konservativen oder rechten Milieus lokalisierte weltanschauliche Unsinnigkeiten gefeit seien. Seit geraumer Zeit scheint sich zunehmend herumzusprechen, daß eine der widerwärtigsten dieser Unsinnigkeiten, der Antisemitismus, in der ein oder anderen Form auch in der historischen und gegenwärtigen Linken, von Frühsozialisten über Sozialdemokraten, Kommunisten bis zu den völkische Befreiungsbewegungen unterstützenden Antiimperialisten der Gegenwart eine Heimstatt gefunden hat(te). Für manch einen, der in den Jahren zuvor in solche Unsinnigkeiten verbreitenden Gruppierungen aktiv gewesen sein mag, ist diese plötzliche Entdeckung schon lange bekannter Tatsachen ganz nebenbei ein wie herbeigesehnter Grund, sich von der Linken und dem keineswegs veralteten Projekt der radikalen Kritik sozialer Verhältnisse in der Manier mancher früherer Renegaten zu verabschieden und sich genüßlich in der Mitte der neuen neoliberalen Heimat einzurichten. '''Robert Holzer '''gibt in seinem Beitrag einen Überblick über verschiedene Ausprägungen dieser ideologischen Verwirrungen, wobei der in der Linken tradierte und über Jahrzehnte hinweg in unterschiedlichen historischen Kontexten immer wieder aktualisierte, dabei aber auf im wesentlichen gleich bleibende Motive zurückgreifende Antizionismus im Milieu der bundesdeutschen Neuen Linken im Zentrum steht.
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Bei dem abschließenden Text von '''Ulrich Linse''' handelt es sich um einen kurzen Nachtrag zu dem in Heft 8 des ARCHIV erschienenen Beitrag über Robert Bek-gran.
 
 
Trotz aller Hoffnungen, Projektionen und manchmal auch Berechnungen hat sich der Kapitalismus seit Jahrhunderten als zwar krisenanfällig, einer finalen Krise gegenüber jedoch stets als resistent gezeigt. Ganz im Gegenteil: Krisen haben sich als eine der kapitalistischen Gesellschaft immanente und für deren Weiterentwicklung wichtige Antriebskraft erwiesen; auch die von eschatologisch orientierten Geschichtsphilosophen zum Totengräber dieser Gesellschaft auserkorenen Proletarier aller Länder sind als widerständig verwertete Arbeitskraft und wichtigste Produktivkraft des kapitalistischen Produktionsprozesses immer nur Teil dieser krisenhaften Dynamik gewesen. '''Jacques Guigou '''und '''Jacques Wajnsztejn '''haben sich von der aktuellen Krise, von der manche offensichtlich glauben, sie bereits abschreiben zu können, dazu anregen lassen, einen Blick auf die innere historische Dynamik der kapitalistischen Vergesellschaftung zu werfen, wobei sie die industrielle Phase im engeren Sinne, zu deren Kosmos auch die klassische Arbeiterbewegung zu rechnen ist, in den Kontext einer über diese Phase hinausreichenden Entwicklung stellen. Im Zentrum ihrer Analysen stehen die mit einer neuerlichen Globalisierung zusammenhängenden Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die allen in den sechziger und siebziger Jahren noch einmal aktualisierten Illusionen zum Trotz zu einer durchgehenden Kapitalisierung aller sozialen Verhältnisse und Vermittlungen geführt haben, die offensichtlich keinerlei systemsprengenden sozialen Antagonismus mehr zuläßt.
 
 
 
Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des Kommunismus. Kaum hatte im vergangenen Herbst eine sozialdemokratische Linke es gewagt, das Unwort in den Mund zu nehmen, schon meldeten sich publizistische Vertreter der in schwarze, gelbe, rote, grüne und immer noch braune Fraktionen ausdifferenzierten Bourgeoisie zu Wort. Da scheint es an der Zeit, einen Text aus der Frühzeit des modernen Kommunismus vorzustellen, als dieses ewige Schreckgespenst der Bourgeoisie sich noch voller Unschuld als Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft vorstellen konnte. In dem Dialog, den '''Étienne Cabet '''im Frühjahr 1848 einen Bürger und einen Kommunisten führen läßt, präsentiert sich der Kommunist als der bessere Bürger, während dieser auf den Kommunisten das projiziert, was er an sich selbst nicht wahrhaben will. Die Kunst, sich als das Andere seiner selbst zu imaginieren, ist gerade in bürgerlichen Milieus eine seit eh und je geschätzte Umgangsform. Das galt und gilt auch für das ganz besondere Verhältnis zwischen Bürger und Kommunist, jene Figuren einer Vergangenheit, die über die Gegenwart hinaus in die Zukunft verweisen: Aus Bürger(inne)n werden Kommunist(inn)en werden Bürger(innen) werden Kommunist(inn)en…
 
  
 
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'''[[Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit|Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit - Reihentiteleintrag]]'''
 
'''[[Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit|Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit - Reihentiteleintrag]]'''

Aktuelle Version vom 2. Dezember 2016, 10:49 Uhr

Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit - Reihentiteleintrag


Buchcover: 978-3886634095 AGWA 09.jpg
Titel: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit; Bd. 9
Herausgeber: Wolfgang Braunschädel, Johannes Materna
Verlag: Germinal Verlag
Erscheinungsort: Fernwald
Erscheinungsjahr: 1989
Umfang, Aufmachung: Broschur, 168 Seiten
ISBN: 978-3886634095
Preis: 11,00 EUR
Direktkauf: bei aLibro, der DadAWeb-Autorenbuchhandlung


Inhalt

  • Zu diesem Heft [4]
  • Hans Schafranek: Hakenkreuz und rote Fahne. Die verdrängte Kooperation von Nationalsozialisten und Linken im illegalen Kampf gegen die Diktatur des ‘Austrofaschismus’ [7]
  • Ulrich Linse: Die „Schwarzen Scharen“ - eine antifaschistische Kampforganisation deutscher Anarchisten [47]
  • Ute Daniel: Frauen in der Kriegsgesellschaft 1914-1918: Staatliche Bewirtschaftungspolitik []
  • und die Überlebensstrategien der Arbeiterfrauen [67]
  • Sabine Behn: „...und die Mädels verbengeln und verwildern!“ Mädchen in der Jugendbewegung - Tradierungen und Abgrenzungen von weiblichen Rollenzuweisungen [77]
  • Michael Buckmiller: Sozialer Mythos und Massenbewegung. Zur Problematik der Sorel-Rezeption]
  • in Deutschland [91]
  • Martin Henkel: Jürgen Kocka - ein Historiker der Nationalen Identitäts-Stiftung [115]
  • Peter Kröger: Die Zweite Reichsgründung zu Worms und ihr Sendbote Bahro [131]
  • Ulrich Linse: Robert Bek-gran - ein Nachtrag [135]


Rezensionen und Hinweise

  • Rezensionen und Hinweise [137]
  • Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf: Droste Verlag, 1987, 876 S. (Johannes Materna) [137]
  • Volker Kratzenberg, Arbeiter auf dem Weg zu Hitler? Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation. Ihre Entstehung, ihre Programmatik, ihr Scheitern 1927-1934, Frankfurt am Main/Bern/New York: Verlag Peter Lang, 1987, 344 S. Wolfgang Braunschädel) [140]
  • Hans Albert Wulf, „Maschinenstürmer sind wir keine.“ Technischer Fortschritt und sozialdemokratische Arbeiterbewegung, Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1988, 228 S. (Wolfgang Braunschädel) [143]
  • Hans-Jürgen Kornder, Konterrevolution und Faschismus. Zur Analyse von Nationalsozialismus, Faschismus und Totalitarismus im Werk von Karl Korsch, Frankfurt am Main/Bern/New York: Verlag Peter Lang, 1987, 260 S. (Wolf Raul) [145]
  • Hans Schafranek, Das kurze Leben des Kurt Landau. Ein österreichischer Kommunist als Opfer der stalinistischen Geheimpolizei, Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1988, 609 S. (Wolfgang Braunschädel) [147]
  • Wolfgang Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, Frankfurt/Main: isp-Verlag, 1987, 209 S. (Karl Andres) [149]
  • Reiner Tosstorff, Die POUM im spanischen Bürgerkrieg, Frankfurt/Main: isp- Verlag, 1987, XII, 383, 174 S. (Wolfgang Braunschädel) [151]
  • Walter Fähnders, Anarchismus und Literatur. Ein vergessenes Kapitel deutscher Literaturgeschichte zwischen 1890 und 1910, Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1987, 261 S. (Wolf Raul) [153]
  • Jürgen Kinter, Arbeiterbewegung und Film (1895-1933). Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiter- und Alltagskultur und der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Kultur- und Medienarbeit, MPZ Materialien 6, Hamburg: Medienpädagogik-Zentrum, 1985, 521 S. (Wolfgang Braunschädel) [156]
  • Holger Jenrich, Anarchistische Presse in Deutschland 1945-1985, Grafenau- Döffingen: Trotzdem Verlag, 1988, 273 S.]
  • Hermann Rösch-Sondermann, Bibliographie der lokalen Alternativpresse, München/New York/London/Paris: K.G. Saur Verlag, 1988, 156 S. (Wolf Raul) [158]
  • Hinweise [161]


Beschreibung

Zu diesem Heft

Hans Schafranek beschäftigt sich in seinem einleitenden Beitrag mit einer Problematik, die sicherlich nicht nur im Kontext jener Ereignisse von Interesse ist, denen sein Augenmerk gilt. In Österreich war im Juni 1933 die NSDAP verboten worden, im Februar des darauffolgenden Jahres kam es zu einem Arbeiteraufstand gegen das autoritäre Dollfuß-Regime, der mit einer vernichtenden Niederlage endete, und im Juli 1934 unternahmen gleichzeitig, aber unabhängig voneinander die österreichische SS und SA Putschversuche, wobei Bundeskanzler Dollfuß zwar erschossen, das Regime aber nicht gestürzt wurde. Im Kontext dieser Ereignisse, besonders des gescheiterten Aufstandsversuchs vom Februar 1934, so der Ausgangspunkt von Schafraneks Arbeit, kam es in Teilen der Arbeiterschaft zu einer Verlagerung des Feindbildes. Jetzt waren es vielfach nicht mehr in erster Linie die Nationalsozialisten, sondern das Dollfuß- bzw., nach dessen Tod, Schuschnigg-Regime, mit dem die Arbeiterschaft und ihre Organisationen sich auseinandersetzten. In dieser Situation, in der Nationalsozialisten und Linke gleichermaßen unterdrückt waren, ergaben sich im Widerstand gegen das verhaßte System mancherlei Annäherungen, die Schafranek skizziert und auf ihre Inhalte hin reflektiert. Es sei hier nur angemerkt, daß damit ein Problemfeld angesprochen ist, das gerade auch in bezug auf die letzten Jahre der Weimarer Republik noch seiner Aufarbeitung harrt.

In eben jene Phase deutscher Geschichte begibt sich Ulrich Linse mit seiner Skizzierung der Geschichte der „Schwarzen Scharen“, einer in der bisherigen Forschung nicht berücksichtigten antifaschistischen Kampforganisation aus dem Umkreis des Anarchismus. Die Freie Arbeiter-Union Deutschland (FAUD), die in den sozialen Auseinandersetzung in den Anfangsjahren der Weimarer Republik eine nicht unbedeutende Rolle gespielte hatte, war ein gutes Jahrzehnt später zu einer eher unbedeutenden Organisation geworden, in der ein zwar reges Innenleben mit einer weitgehenden Einflußlosigkeit nach außen einherging. Ausgehend von Oberschlesien, bald aber auch in Berlin und in anderen Provinzen Fuß fassend, entwickelte sich mit den „Schwarzen Scharen“ eine innerorganisatorische Oppositionsströmung, in der vorwiegend jugendliche Anarchisten bzw. Anarchosyndikalisten ein Betätigungsfeld für die zunehmend militanten Auseinandersetzungen in der Endphase der Weimarer Republik fanden.

Mit der Frage, ob und inwieweit die spezifischen Reaktionen der Arbeiterfrauen auf die sich zunehmend verschlechternden Lebensbedingungen während des Ersten Weltkrieges zur Delegitimierung der staatlichen Herrschaft beitrugen, beschäftigt sich Ute Daniel in ihrem Beitrag über „Frauen in der Kriegsgesellschaft 1914-1918“. In dem Maße, so ihre These, in dem sich die staatlichen Bürokratien als unfähig erwiesen, eine adäquate Lebensmittelversorgung zu garantieren, sahen sich insbesondere Arbeiterfrauen, die in erster Linie und unmittelbar mit diesem Problem konfrontiert waren, genötigt, in direkten Aktionen ihre Interessen zum Ausdruck zu bringen und somit die bis dahin weitgehend anerkannte Autorität des Staates in Frage zu stellen. Mit dem Ende des Krieges und der gerade auch von sozialdemokratischer Seite gestützten Reetablierung des staatlichen Machtgefüges sahen sich die Frauen jedoch wieder in ihre traditionellen Rollen verwiesen.

Ähnlich widersprüchlich verlief der Emanzipationsprozeß der aus bürgerlichem Milieu kommenden Mädchen, die sich in der Jugendbewegung der Vorkriegszeit engagierten. Hin- und hergerissen zwischen den auch im Kontext der Jugendgruppen an sie herangetragenen traditionellen Rollenzuschreibungen und dem eigenen Bestreben, aus eben jenen Zuweisungen auszubrechen, erwiesen sich, so Sabine Behn, die neugewonnene Selbständigkeit und das entsprechende Selbstbewußtsein als erste Schritte zur Überwindung bürgerlicher Verhaltensnormen. Im Schnittpunkt zwischen der an traditionellen Weiblichkeitsnormen orientierten Ideologie der Jugendbewegung und den konkreten Aktivitäten der Mädchen entwickelten sich Erfahrungen, die lebensgeschichtlich bedeutsam wurden.

Mit der Rezeption Georges Sorels - ein Theoretiker, der die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Reaktionen erfahren hat - im Kontext der „konservativen Revolutionäre“ der zwanziger und dreißiger Jahre beschäftigt sich Michael Buckmiller in seinem Beitrag „Sozialer Mythos und Massenbewegung“. Georges Sorel, für Buckmiller unzweifelhaft ein Theoretiker, der mit seiner Theorie des gewaltsamen sozialen Massenstreiks nur aus dem Kontext der Arbeiterbewegung heraus zu verstehen ist und auch in diese hinein wirken wollte, ist von den konservativen und rechten Intellektuellen ihren Zwecken und Zielsetzungen entsprechend uminterpretiert worden. In dieser Rezeption Sorels reduziert sich dessen Gedankenwelt auf eine ihren eigentlichen Absichten entgegengesetzte formalisierte Theorie, in der Sorels gegen die bürokratisierten Arbeiterorganisationen gerichtete positive Bezugnahme auf soziale Massenbewegungen wiederum für eigene politische Zielsetzungen verfälscht wird. Eine solche positive Bezugnahme auf den machbaren Mythos und die darin implizierte Instrumentalisierung von Massen gewinnt auch heute wieder zunehmend an Aktualität, insofern ein allgemein zunehmendes Bewußtsein einer Sinnkrise zu entsprechenden Bewältigungsstrategien, speziell auch von konservativer Seite, geradezu herausfordert.

Martin Henkel und Peter Kröger beschäftigen sich in polemischer Absicht mit zwei Autoren, die im gegenwärtigen öffentlichen Bewußtsein in unterschiedlicher Weise präsent sind. Jürgen Kocka, Bielefelder Modernisierungstheoretiker, hat sich in der Historikerdebatte der vergangenen Jahre des öfteren als Gegenspieler seiner konservativen und rechten Kollegen zu Wort gemeldet. Martin Henkel arbeitet heraus, daß Kockas Interventionen nichts anderes bezwecken, als die Etablierung einer alternativen, sozialdemokratischen Variante von zustimmungsfähiger Vergangenheit und historischer Identitätsstiftung. Rudolf Bahro, lange Zeit enfant terrible der „Grünen“, hat sich mit seinem letzten Werk, der „Logik der Rettung“, ins spirituelle Abseits begeben. Ein Werk, das jedoch, so Peter Kröger, allenfalls Ausdruck der Krise ist, als dessen Lösung es sich anbietet.

Bei dem abschließenden Text von Ulrich Linse handelt es sich um einen kurzen Nachtrag zu dem in Heft 8 des ARCHIV erschienenen Beitrag über Robert Bek-gran.


Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit - Reihentiteleintrag