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Helge Döhring's bedenklicher Umgang mit Quellen - Die DadA-Kritik

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Version vom 23. Oktober 2011, 18:34 Uhr von WikiSysop (Diskussion | Beiträge) (copy-and-paste-Syndikalismusforschung: Helge Döhrings bedenklicher Umgang mit Quellen)
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Im Folgenden veröffentlichen wir eine Rezension von Dieter Nelles zu zwei Neuerscheinungen von Helge Döhring, der seit 2007 in Bremen ein (weil es kleiner nicht geht:) „Institut für Syndikalismusforschung“ betreibt. Zumindest einer der von Nelles besprochenen Titel betrifft direkt das DadA-Projekt, speziell die DadA-Pressedokumentation. Die Rezension behandelt aber auch grundsätzliche Fragen zur Ethik und Methodik sozialwissenschaftlicher Forschung, die über den engeren Kreis der Anarchismus- und Syndikalismusforschung von Interesse sind. Wer sich an der Diskussion zum Thema beteiligen will, kann hierfür die Diskussionsseite benutzen.

Jochen Schmück

copy-and-paste-Syndikalismusforschung: Helge Döhrings bedenklicher Umgang mit Quellen

Rezension von Dieter Nelles zu:

  • Helge Döhring: Die Presse der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Deutschland 1918 bis 1933. Edition Syfo, Nr. 1, Syndikat A Medienvertrieb, Moers 2011, ISBN 978-3-9810846-8-9, 92 S., 8,90 EUR
  • Helge Döhring: Schwarze Scharen. Anarcho-Syndikalistische Arbeiterwehr (1929 - 1933), Edition AV, Lich/Hessen 2011, ISBN 978-3-86841-054-9, 184 Seiten, 14,90 EUR

In der Einleitung über die Presse der syndikalistischen Arbeiterbewegung schreibt Helge Döhring:

„Es ist wichtig, dass ein so bedeutender Teilbereich von Geschichte in geordneter Form vorliegt, um ihn inhaltlich weiter erschließen zu können. (…) Konzipiert ist der Text als Werkzeug, welches einmal gründlich vollendet, Generationen an Interessierten nützlich sein kann.

Die Sozialdemokraten haben es, die Kommunisten haben es, nun haben es auch die Syndikalisten. Eine ausführliche Bibliographie über ihre Presse für die historisch bedeutendste Zeit ihrer Existenz.“ (S. 9)

Bescheidenheit und wissenschaftliche Redlichkeit sind keine Tugenden Döhrings, denn sonst hätte er erwähnt, dass es diese ausführliche Bibliographie zum deutschen Syndikalismus schon längst gibt: In kurzer Form in Hartmut Rübners Arbeit „Freiheit und Brot“ (S. 279-294) und mit Detailhinweisen zu AutorInnen sowie Inhaltsangaben in der Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus (DadA) von Günter Hörig und Jochen Schmück.

Insofern hantiert der Autor mit bereits gebrauchten Werkzeugen. Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, jeweils nachzuweisen, dass sich Döhring bei seinen Angaben auf die DadA-Datenbank stützt, sie zum Teil verkürzt, um sie dann mit ergänzenden Informationen wieder anzureichern; bezeichnenderweise um Artikel aus der syndikalistischen Presse, deren Quellenhinweise er wiederum der DadA-Datenbank entnommen hat. Während diese ausführliche Bestandsverzeichnisse der Standorte enthält, führt Döhring diese nur summarisch an.

Den Gebrauchswert der Angaben schmälert dies erheblich, weil viele Zeitungen in den Bibliotheken oder Archiven nur lückenhaft überliefert sind.

Hätte Döhring kenntlich gemacht, dass es sich bei seiner Bibliographie um eine erweiterte Printfassung der DadA-Datenbank handelt, wäre nichts dagegen einzuwenden, sofern ein Einverständnis bestanden hätte. Denn jedes der von ihm aufgeführten Blätter war und ist dort bereits zu finden. Aber dass die genannten Autoren in seiner im copy-and-paste-Verfahren hergestellten Arbeit überhaupt keine Erwähnung finden, kann man nur als dreist bezeichnen.

Auch in Döhrings Arbeit über die Schwarzen Scharen klafft eine große Lücke zwischen Anspruch und den tatsächlichen Ergebnissen seiner Forschungen.

Als sich gegen Ende der zwanziger Jahre die Auseinandersetzungen zwischen der Arbeiterbewegung und der SA verschärften, gründeten im Oktober 1929 oberschlesische Anarchosyndikalisten um Paul Czakon und Alfons Pilarski in Ratibor und Beuthen militante, uniformierte und zum Teil bewaffnete Kampforganisationen – die Schwarzen Scharen.

Neben Oberschlesien gab es noch ähnliche Gruppen u.a. in Berlin, Darmstadt, Kassel und Wuppertal. Neben ihren antifaschistischen Aktivitäten, die teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen des linken Spektrums durchgeführt wurden, sind die Schwarzen Scharen auch als ein Versuch zu werten, in der Öffentlichkeit verstärkt Präsenz zu zeigen und durch spektakuläre Propagandaaktionen (Musikzüge, motorisierte Demonstrationszüge, Theatergruppen usw.) dem andauernden Niedergang der FAUD als einer politischen »Kampforganisation« zu entgehen. Trotz der zum Teil recht massiven Kritik innerhalb der FAUD an der Uniformierung und Militarisierung der Kampfformen, blieb die eigentliche Zielsetzung, neue Mitglieder zu gewinnen nicht ohne Resonanz.

Im Unterschied zu den bisherigen Arbeiten, so jedenfalls schreibt Döhring, gelange er „zu einem Gesamtbild mit generellen Aussagen“ (S. 10).

Seine Arbeit „speise sich fast ausschließlich aus Quellen“ und nicht aus der bisherigen Forschung, „um eine Voreingenommenheit“ auszuschließen (S. 11). Diese angeblich unvoreingenommene Vorgehensweise sieht in der Praxis so aus, dass er die vorliegenden Erkenntnisse der vorhandenen Arbeiten um lange Zitate aus den Quellen erweitert, ohne diese aber zu analysieren, geschweige denn zu neuen Befunden zu gelangen.

Dieses Unvermögen wird dann in der folgenden unverständlichen Formulierung deutlich.

Er könne der These Ulrich Linses, die Gründung der Schwarzen Scharen sei ein Ausdruck des Wunsches gerade der jungen Anarchosyndikalisten nach aktiverem antifaschistischen Engagement, „im Ganzen nicht und nur in wenigen begrenzten Ausnahmen in einzelnen Fällen zustimmen“ (S. 133).

Linse habe das Konzept der Schwarzen Scharen mit demjenigen der Kartellbildung verwechselt. Diese Kritik enthält vor allem deshalb einen bitteren Nachgeschmack, da ein unveröffentlichtes Manuskript Linses vorliegt, das auch Döhring bekannt ist, in dem Linse ausführlich diesen Aspekt thematisiert: – „Militante Abwehr des Nationalsozialismus 1929-1933. ‚Schwarze Scharen’ und ‚Kampfgemeinschaften gegen Reaktion und Faschismus’“.

Bezeichnenderweise pickt Döhring sich aus Linses Manuskript nur die Aspekte heraus, die für ihn ‚verwertbar‘ sind. Linse geht dort auf lokale Gruppen der Schwarzen Scharen ein, deren „Entdeckung“ Döhring dann für sich reklamiert und analysiert, lokale antifaschistische Bündnisse, in denen Anarchosyndikalisten sogar mit Kommunisten zusammen arbeiteten. Dies passt aber offensichtlich nicht zu Döhrings Auffassung, dass ideologische und organisatorische Grenzen gegenüber anderen Strömungen der Arbeiterbewegung immer eingehalten wurden:

Zu Döhrings selektivem Umgang mit Literatur und Quellen sollen an dieser Stelle zwei Beispiele genügen. Alfons Pilarski hat entgegen Döhrings Darstellung, er habe bis 1938 in Spanien gekämpft (S. 144), dieses Land nie betreten. Es könnte für die Leserinnen und Leser indessen interessanter sein, näheres über dessen Aktivitäten in der polnischen Gewerkschafts- und Widerstandsbewegung zu erfahren. Doch darüber schweigt sich das Buch aus. Im Anhang findet sich ohne Quellenangabe eine unkommentierte Liste der Mitglieder der Schwarzen Scharen in Schlesien mitsamt deren Beurteilung durch die Polizeibehörden. Bei dieser Liste handelt es sich aber um eine 1937 für das Geheime Staatspolizeiamt verfasste Aufstellung der Gestapoleitstelle Oppeln über Mitglieder der FAUD in Oberschlesien. Die Mitgliedschaft in der FAUD und den Schwarzen Scharen überschnitt sich in vielen Fällen, war aber nicht identisch.

Durch beide Arbeiten zieht sich ein höchst nachlässiger Umgang mit den Quellen.

Infolge der Ausblendung der wichtigsten Sekundärliteratur entsteht der Eindruck, der Verfasser könne eigene Rechercheergebnisse präsentieren. Stattdessen hat er seine Befunde ohne jedwede Verweise im Wesentlichen aus den von ihm so konsequent ausgeblendeten Studien übernommen. Deshalb kann der Rezensent beide Arbeiten nicht zur Lektüre empfehlen.

Dieter Nelles

Quelle: libertäre buchseiten. beilage zur graswurzelrevolution 362, Oktober 2011, S.5