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Werner Portmann und Siegbert Wolf: Ja, ich kämpfte: Unterschied zwischen den Versionen

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(Nachwort von Uwe Timm)
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In der jüdischen ArbeiterInnenbewegung engagierten sich viele junge AnarchistInnen. Sozialisiert in einem religiösen Elternhaus, gehörten sie schon bald zu den EnthusiastInnen einer revolutionären Utopie, die sich die Aufhebung von Herrschaft und gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Zugleich repräsentierten sie einen sozialrevolutionären Radikalismus, der mit seiner Verheißung einer Befreiung aller Juden und Jüdinnen wie auch der gesamten Menschheit durchaus Parallelen im jüdischen Glauben aufwies.
 
In der jüdischen ArbeiterInnenbewegung engagierten sich viele junge AnarchistInnen. Sozialisiert in einem religiösen Elternhaus, gehörten sie schon bald zu den EnthusiastInnen einer revolutionären Utopie, die sich die Aufhebung von Herrschaft und gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Zugleich repräsentierten sie einen sozialrevolutionären Radikalismus, der mit seiner Verheißung einer Befreiung aller Juden und Jüdinnen wie auch der gesamten Menschheit durchaus Parallelen im jüdischen Glauben aufwies.
  
===Nachwort von Uwe Timm===
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==Inhalt==
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Vorwort und Einleitung / Isak Aufseher (1905-1977) - Der Luftmensch / Gegen die Starken und für die Schwachen - Jack Bilbo (1907-1967), Rebell und Kunst-Gangster / »Solange Menschengeist nach Freiheit ringt« - Robert Bodanzky (1879-1923), Librettist der Freiheit / Carl Einstein (1885-1940), dunkler Aufklärer zwischen Gott und Nichts. Eine Spurensuche / Cilla Itschner-Stamm (1887-1957): »lch flehe um Freiheit« / »Die Tore der Freiheit öffnen« -Milly Witkop-Rocker (1877-1955), Anarchistin und Feministin.
  
Als John Henry Mackay im Jahre 1891 sein Buch "Die Anarchisten" veröffentlichte, bestand zu­mindest noch eine leise Chance, dass sich die Massen nicht für den Staatssozialismus verein­nahmen lassen würden. Eine Zeit lang mag sich der Verfasser in dieser Hoffnung bestärkt gefühlt haben, denn die "Anarchisten" erreichten mit einer Auflage von 18.000 Stück – wozu noch Aus­gaben in elf Fremdsprachen kamen – eine nicht unbeachtliche Verbreitung. Doch dem relativen Erfolg dieses einfühlsamen romanartigen "Zeitgemäldes" zur viktorianischen Ära in London, in das Mackay mit Geschick seine programmatischen Thesen zu einem unaggressiven individualistischen Anarchismus eingeflochten hatte, korrespondierte leider einstweilen keine nachhaltige Wirkung. Nein, gerade im zwanzigsten Jahrhundert kam der Etatismus, die "Verstaatlichung" fast allen menschlichen Zusammenwirkens, nicht nur in den staatssozialistischen und kollektivistischen Tyranneien roter und brauner Couleur zu üppigster (Sumpf-)Blüte.
 
  
Mackay wusste um die Anziehungskraft der Gewaltparolen und Paradiesverheißungen des Sozialis­mus, und so schrieb er schon ahnungsvoll im Vorwort der "Anarchisten": "Aber möge diese Erfah­rung gemacht werden, wenn es denn nicht anders sein kann." Sein zweites großes program­matisches Buch "Der Freiheitsucher" (1920) erschien dann schon zu einer Zeit, als der Sozialismus sich zu seinem "Siegeszug" rüstete und die ersten "Diktaturen des Proletariats" entstanden, in denen Mackay – noch ohne eine Ahnung von dem, was der Hitler’sche "Nationalsozialismus" wenige Jahre später Deutschland und der Welt bringen sollte die letzte und plumpste Form der Gewaltherrschaft sah. Aber Mackay vertraute auch darauf, dass dieses neue System staatlich-gesellschaftlichen Terrors nicht ewig währen werde.
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==Beschreibung==
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Portmann und Wolf analysieren und dokumentieren in ihrem Buch die enge Wechselbeziehung zwischen Judentum und Anarchismus im deutschsprachigen Raum. Anhand ausgewählter Porträts jüdischer Libertärer gehen sie der Frage nach, welchen Anteil jüdische AnarchistInnen an der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung hatten. Denn die große Zahl jüdischer AnarchistInnen in der europäischen und amerikanischen ArbeiterInnenbewegung im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert ist zweifellos von historischem Interesse für beide Seiten für Juden/Jüdinnen und AnarchistInnen. Bis heute liegt keine Gesamtstudie dieses Verhältnisses zweier augenscheinlich unterschiedlicher Traditionen vor.  
  
Trotz aller Enttäuschungen: Mackay bewahrte sich die Überzeugung, dass es ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit keine Freiheit geben werde und dass jede Verstaatlichung der Wirtschaft stets in einem Fiasko ende. Rudolf Rocker vertrat nach 1945 die Auffassung, dass eine reglementierte und gelenkte Wirtschaftsordnung schon deshalb verwerflich sei, weil sie das Wirtschaftsleben ersticke. Kollektivistische Dogmen bringen uns nicht weiter, und Rocker selbst hoffte für den Anarchismus auf einen revolutionären Humanismus und Liberalismus. Ein Ansatzpunkt für neue Einsichten und Konzeptionen? Zweifellos. Aber hierfür ist es notwendig, Tabus zu brechen, an denen allzu viele in Dogmatismus befangene Intellektuelle noch immer hängen.
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Auf den ersten Blick scheint Judentum und Anarchismus, jüdischer Messianismus und libertäres Denken wenig miteinander zu verbinden: einerseits eine Bevölkerungsgruppe mit ihrer messianischen, traditionellen und rituellen Religiosität, andererseits eine subversive Idee und sozialrevolutionäre Lebenshaltung, im allgemeinen atheistisch und materialistisch. Dass bei vielem Trennenden auch unübersehbare Gemeinsamkeiten bestehen, zeigt eindrucksvoll die enge Verbindung zwischen jüdischem Messianismus und revolutionärer Restrukturierung der Gesellschaft.
  
[[bild:John_Henry_Mackay.gif|thumb|left|250px|John Henry Mackay (1864-1933)]]
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Die produktivste Begegnung zwischen Judentum und Anarchismus fand in Osteuropa statt, dem Zentrum jiddischer Kultur: dort, wo Juden und Jüdinnen gezwungen waren, unter der zaristischen Herrschaft zu leben. Weiter entwickelt hat sich die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und libertärer Utopie vor allem infolge millionenfacher Emigration osteuropäischer Juden und Jüdinnen nach England, Lateinamerika, in die USA und nach Palästina. Zu erwähnen sind hier für die erste Generation Emma Goldman, Milly Witkop und die Brüder Max und Siegfried Nacht. (siehe Biographie über die beiden von Werner Portmann, die zusätzlich zur vorliegenden Publikation im Frühjahr 2007 im gleichen Verlag erscheinen wird.)
John Henry MackayMackay widmete seine beiden politischen Hauptwerke dem amerikanischen Libertären Benjamin R. Tucker (1854-1939), und das hat seinen besonderen Grund. Tucker vertrat mit seiner Zeitschrift "Liberty" die amerikanische libertäre Tradition und verfasste die bekannte Schrift "Staatssozialis­mus und Anarchismus". Dreh- und Angelpunkt von Tuckers Anarchismus war das Wort Pierre J. Proudhons, wonach die Freiheit nicht die Tochter, sondern die Mutter der Ordnung sei. Und dieses Anarchismusverständnis machte sich auch Mackay zu eigen.
 
  
Konkret bedeutete dies: Mackay und Tucker verstanden Anarchie als ein Konzept der zwangsfreien Kooperation. Dieses Konzept lässt allen die Möglichkeit, sich individualistisch, genossenschaftlich oder auch kommunistisch zu organisieren. Diese Offenheit des individualistischen Anarchismus wird häufig von jenen ignoriert, die nur ihre Anschauungen gelten lassen, sich jeder kritischen Auseinandersetzung und Betrachtung entziehen.
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In der jüdischen ArbeiterInnenbewegung engagierten sich viele junge AnarchistInnen. Sozialisiert in einem religiösen Elternhaus, gehörten sie schon bald zu den EnthusiastInnen einer revolutionären Utopie, die sich die Aufhebung von Herrschaft und gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Zugleich repräsentierten sie einen sozialrevolutionären Radikalismus, der mit seiner Verheißung einer Befreiung aller Juden und Jüdinnen wie auch der gesamten Menschheit durchaus Parallelen im jüdischen Glauben aufwies, z.B. hinsichtlich der Erwartung des Messias.  
  
In mehr als fünfundzwanzigjähriger Arbeit verfasste John Henry Mackay die bis heute maß­gebliche Biographie Max Stirners (1806-1856), des Philosophen einer konsequenten Individualität. Auf diese Weise leistete der Schriftsteller den wohl wichtigsten Beitrag dazu, dass Stirners radikale Absage an "heilige Ordnungen" und ideologische "fixe Ideen" – formuliert vor allem in seinem Hauptwerk "Der Einzige und sein Eigentum" – nicht der Vergessenheit anheim fiel.
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Was es Libertären vor allem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ermöglichte, den jüdischen Messianismus in ihr anarchistisches Weltbild zu integrieren, betraf also dessen revolutionäres Potential. So interpretierte Gustav Landauer Geschichte nicht als kontinuierlichen Fortschritt der Menschheit, sondern als Pendelbewegung zwischen ›Topie‹ und ›Utopie‹: "Wir haben es hier mit einer qualitativen Differenzierung von Zeit zu tun, in der sinnerfüllte oder sinnentleerte Epochen scharf voneinander abgegrenzt sind. Jede Möglichkeit von Fortschritt oder Evolution wird bestritten, und die Revolution erfolgt als Eingriff in die Welt."
  
Doch Mackay war kein bloßer Epigone von Max Stirner, vielmehr ein eigenständiger Denker, der mit seinen Werken "Die Anarchisten" und "Der Freiheitsucher" zwar auf Stirner aufbaut, aber über ihn hinausgeht und eigene Akzente setzt. Mackay entwirft ein umfassendes Konzept für eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung und beschreibt die mögliche Evolution zur Anarchie auf der Grundlage der Selbstbestimmung der Individuen.
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Die Autoren zeigen mit ihrer Studie eindruckvoll auf, dass sowohl die ArbeiterInnenbewegung als auch die libertäre Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts dem im Judentum verankerten Gerechtigkeits- und Freiheitsimpulsen viel zu verdanken haben. (js)
  
Grundregel für das Zusammenleben und -wirken selbstbestimmter Einzelpersonen in einer zwang­los-pragmatisch "verfassten" Gesellschaft ist nach Mackay die "gleiche Freiheit aller". Jedes Indi­viduum bestimmt die Grundsätze seiner Lebensführung frei gemäß seinen Interessen und Neigun­gen, hat in seiner Selbstentfaltung aber dem gleichen Streben anderer Individuen Rechnung zu tra­gen. Im alltäglichen Umgang miteinander schaffen und wahren die selbstbewussten Einzelnen also ihre individuellen Freiräume. Grenzenlos kann diese Freiheit somit nicht sein, denn wer für sich eine schrankenlose Freiheit beansprucht, stellt zugleich die Freiheit seiner Nebenmenschen in Frau­ge und unterwirft sie seiner Willkür. Aber sie gewährleistet einem jeden das mögliche Höchstmaß an Selbstbestimmung, schafft einen Zustand, in dem niemand über andere herrscht und niemand von anderen beherrscht wird und das Glück des einen sich nicht auf dem Unglück des anderen gründet.
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==Über die Autoren==
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[[Portmann, Werner]]
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Werner Portmann, geb. 1958, Publizist, lebt in Zürich. Mitarbeit an verschiedenen Büchern zum Thema Anarchismus. Etliche Publikationen zur ArbeiterInnenbewegung und Filmgeschichte, u.a. Texte zu Carl Einstein, Oskar Maria Graf, Luigi Luccheni und Heiner Koechlin.  
  
Zudem bietet Mackay eine soziologische Gesamtschau, die bis in die letzten Konsequenzen reicht. Er definiert die Begriffe der Freiheit, der Herrschaft, der Gewalt, der Anarchie so klar und schlüs­sig wie kaum jemand vor ihm. An Beispielen veranschaulicht Mackay, wie sich die Emanzipation der Arbeit von Ausbeutung und die Befreiung von jeglicher Herrschaft vollziehen kann. Er betont die Notwendigkeit der Beachtung solcher Grundsätze wie: Wettbewerb und Konkurrenz auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, wozu der gegenseitige Kredit gehört, Emissionsfreiheit der Banken, konkurrierende Währungen. Dabei stellt er sich etwa gegen Silvio Gesell, der zur Überwindung des Zinses eine Geldverfassung vorschlägt, die mittels einer Umlaufsicherung, einer Geldsteuer, zu einem dienenden Geld führen soll.
 
  
Mackay kannte Gesells Vorschläge, nahm auch einmal an einer Veranstaltung mit Georg Blumenthal teil, aber er verneinte diesen freiwirtschaftlichen Vorschlag, weil nach seiner Auffas­sung der Zins aus dem Geldmonopol resultiert. Sobald dieses Monopol nicht mehr existiere, würden Banken, die das Tauschmittel Geld anbieten, im eigenem Interesse auch an stabilen Wäh­rungen interessiert sein.
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[[Wolf, Siegbert]]
 
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Siegbert Wolf, geb. 1954, Dr. phil., Historiker und Publizist, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Zahlreiche Bücher u.a. über Gustav Landauer, Martin Buber, Hannah Arendt, Jean Améry sowie zur Frankfurter Stadtgeschichte: Hrsg.: Jüdisches Städtebild Frankfurt am Main (1996), Hrsg.: Die Juden an der Universität Frankfurt (1997), zuletzt: Gustav Landauer, Die Revolution (1907). Hrsg., mit einem Vorwort, kommentiert und einem Register von Siegbert Wolf (2003).
Dass die soziale Frage eine wirtschaftliche ist, keine politische, diese Überzeugung vertrat auch Gesell in seinem 1927 (sieben Jahre nach Mackays "Freiheitsucher") erschienenen letzten Buch "Der abgebaute Staat", dessen Grundgedanken einige Übereinstimmungen mit denen Mackays aufweisen.
 
 
 
Für Mackay ist die Anarchie eine reale Perspektive für die Zukunft – die Anarchie wohlgemerkt, und nicht nur die bekannten liberalistischen Bestrebungen, die staatliche Gewalt mehr oder minder weitgehend zu begrenzen, zu minimalisieren. Wird sich die Einsicht durchsetzen, dass eine herr­schaftslose Gesellschaftsordnung der beste Garant für Freiheit, Frieden und Wohlstand der Völker ist? Immerhin: Es waren und sind nicht wenige, die konstruktive Vorschläge für eine anarchische Ordnung anbieten und dabei keineswegs neue "Wolkenkuckucksheime" entwerfen, sondern auf Vertrautes zurückgreifen. Wie schon Mackay und auch Gesell eine Marktwirtschaft ohne Privile­gien und ohne Monopole befürworteten, so ist zum Beispiel auch für den amerikanischen libertären Ökonomen David D. Friedman (Jahrgang 1945) der Markt der Schlüssel zur Anarchie.
 
 
 
Das "Ja" Mackays und anderer libertärer Denker zum Markt schließt, wie schon angesprochen, die Geldverfassung ein. Denn ohne Geld- und Steuermonopole gibt es keine Zentralisation staatlicher Macht, und somit muss die Aufhebung dieser Monopole das wichtigste Ziel aller Freiheitsfreunde sein. Von der "Geldfrage" ausgehend formulieren Mackay und Gesell als weiteres Grundanliegen die Lösung der "Zinsfrage", also der Belastung aller möglichen Dienste und Waren (angefangen bei der Geldemission selbst) mit Zusatzentgelten, für die eine sachliche Berechtigung oft nicht oder allenfalls sehr bedingt besteht.
 
 
 
Eine nicht minder wesentliche Bedeutung kommt dem Recht aller Menschen auf Grund und Boden zu. Hier bestehen insoweit besondere Verhältnisse, als Boden ja – im Gegensatz zu anderen Gütern – nicht beliebig "produziert" werden kann und Mackay gegen ein Eigentum an dem naturgegebe­nen Gut "Boden" berechtigte Bedenken äußert, so dass sich die marktwirtschaftlichen Axiome Nachfrage und Angebot nicht ohne weiteres anwenden lassen. Doch unterbreitet Mackay auch hier konstruktive und praktikable Vorschläge – ebenso wie Silvio Gesell und später, in Fortführung all’ dessen, Kurt Zube.
 
 
 
Nach Mackay gehört jeder Mensch sich selbst, bedeutet es eine Aggression, wenn jemand daran gehindert wird, sein eigenes Leben zu leben. Jeder Staat verhält sich aggressiv, verhindert, dass sich Individuen der Herrschaftsgewalt des Staates entziehen. Was aber aggressiv und was nicht aggressiv ist, warum mit einer heuchlerischen Parole wie "Allgemeinwohl" der Fortschritt zur Freiheit blockiert wird, versteht Mackay eindringlich und überzeugend darzulegen.
 
 
 
Mackay lebte sein Leben konsequent als Anarchist, ebenso sein Freund B. R. Tucker – in einer Zeit, in der der Kollektivismus triumphierte, Massen ihr Leben für die Wahnideen irgendwelcher "Führer" verloren oder schlicht verhungerten.
 
 
 
Im "Freiheitsucher", wie schon in seinem Buch "Die Anarchisten", beklagt Mackay, dass alle dynastischen und absoluten Formen erst dahinschwinden, republikanische und demokratische auf der sozialistischen Basis erst ihre Unmöglichkeit erweisen müssen, das ganze wirtschaftliche und geistige Elend etatistischer "Gemeinwohl"-Despotie und sozialistischer Gleichheitsbestrebungen bis auf den letzten Tropfen durchkostet werden muss, ehe wir die Anarchie als einzig mögliche und noch verbleibende Form der Gesellschaft begrüßen können. Von B. R. Tucker stammt die Bemer­kung: "Der Staat bewegt sich immer vom Guten zum Schlechten und vom Schlechten zum noch Schlimmeren."
 
 
 
Nachdem sich die Richtigkeit dieses Wortes im Laufe der Geschichte eins ums andere Mal erwie­sen hat, sollte es an der Zeit sein, es einmal mit der Freiheit zu versuchen. In diesem Sinne besitzt Mackay´s Buch "Der Freiheitsucher" in unserer Zeit eine besondere Aktualität.
 

Version vom 21. Oktober 2006, 10:23 Uhr

Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: Mackay Freiheitsucher.gif
Autor/en: Werner Portmann und Siegbert Wolf
Titel: "Ja, ich kämpfte"
Untertitel: Von Revolutionsträumen, 'Luftmenschen' und Kindern des Schtetls. Biographien radikaler Jüdinnen
Verlag: UNRAST-Verlag
Erscheinungsort: Münster
Erscheinungsjahr: 2006
Editoriales: Mit einem Vorwort von Emanuel Hurwitz.
Umfang, Aufmachung: 316 Seiten, zahlr. Abb.;
ISBN: 3-89771-452-3
Preis: 19,00 EUR
Direkt online bestellen: via LIBRI.de - versandkostenfrei!

In der jüdischen ArbeiterInnenbewegung engagierten sich viele junge AnarchistInnen. Sozialisiert in einem religiösen Elternhaus, gehörten sie schon bald zu den EnthusiastInnen einer revolutionären Utopie, die sich die Aufhebung von Herrschaft und gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Zugleich repräsentierten sie einen sozialrevolutionären Radikalismus, der mit seiner Verheißung einer Befreiung aller Juden und Jüdinnen wie auch der gesamten Menschheit durchaus Parallelen im jüdischen Glauben aufwies.

Inhalt

Vorwort und Einleitung / Isak Aufseher (1905-1977) - Der Luftmensch / Gegen die Starken und für die Schwachen - Jack Bilbo (1907-1967), Rebell und Kunst-Gangster / »Solange Menschengeist nach Freiheit ringt« - Robert Bodanzky (1879-1923), Librettist der Freiheit / Carl Einstein (1885-1940), dunkler Aufklärer zwischen Gott und Nichts. Eine Spurensuche / Cilla Itschner-Stamm (1887-1957): »lch flehe um Freiheit« / »Die Tore der Freiheit öffnen« -Milly Witkop-Rocker (1877-1955), Anarchistin und Feministin.


Beschreibung

Portmann und Wolf analysieren und dokumentieren in ihrem Buch die enge Wechselbeziehung zwischen Judentum und Anarchismus im deutschsprachigen Raum. Anhand ausgewählter Porträts jüdischer Libertärer gehen sie der Frage nach, welchen Anteil jüdische AnarchistInnen an der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung hatten. Denn die große Zahl jüdischer AnarchistInnen in der europäischen und amerikanischen ArbeiterInnenbewegung im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert ist zweifellos von historischem Interesse für beide Seiten – für Juden/Jüdinnen und AnarchistInnen. Bis heute liegt keine Gesamtstudie dieses Verhältnisses zweier augenscheinlich unterschiedlicher Traditionen vor.

Auf den ersten Blick scheint Judentum und Anarchismus, jüdischer Messianismus und libertäres Denken wenig miteinander zu verbinden: einerseits eine Bevölkerungsgruppe mit ihrer messianischen, traditionellen und rituellen Religiosität, andererseits eine subversive Idee und sozialrevolutionäre Lebenshaltung, im allgemeinen atheistisch und materialistisch. Dass bei vielem Trennenden auch unübersehbare Gemeinsamkeiten bestehen, zeigt eindrucksvoll die enge Verbindung zwischen jüdischem Messianismus und revolutionärer Restrukturierung der Gesellschaft.

Die produktivste Begegnung zwischen Judentum und Anarchismus fand in Osteuropa statt, dem Zentrum jiddischer Kultur: dort, wo Juden und Jüdinnen gezwungen waren, unter der zaristischen Herrschaft zu leben. Weiter entwickelt hat sich die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und libertärer Utopie vor allem infolge millionenfacher Emigration osteuropäischer Juden und Jüdinnen nach England, Lateinamerika, in die USA und nach Palästina. Zu erwähnen sind hier für die erste Generation Emma Goldman, Milly Witkop und die Brüder Max und Siegfried Nacht. (siehe Biographie über die beiden von Werner Portmann, die zusätzlich zur vorliegenden Publikation im Frühjahr 2007 im gleichen Verlag erscheinen wird.)

In der jüdischen ArbeiterInnenbewegung engagierten sich viele junge AnarchistInnen. Sozialisiert in einem religiösen Elternhaus, gehörten sie schon bald zu den EnthusiastInnen einer revolutionären Utopie, die sich die Aufhebung von Herrschaft und gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Zugleich repräsentierten sie einen sozialrevolutionären Radikalismus, der mit seiner Verheißung einer Befreiung aller Juden und Jüdinnen wie auch der gesamten Menschheit durchaus Parallelen im jüdischen Glauben aufwies, z.B. hinsichtlich der Erwartung des Messias.

Was es Libertären vor allem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ermöglichte, den jüdischen Messianismus in ihr anarchistisches Weltbild zu integrieren, betraf also dessen revolutionäres Potential. So interpretierte Gustav Landauer Geschichte nicht als kontinuierlichen Fortschritt der Menschheit, sondern als Pendelbewegung zwischen ›Topie‹ und ›Utopie‹: "Wir haben es hier mit einer qualitativen Differenzierung von Zeit zu tun, in der sinnerfüllte oder sinnentleerte Epochen scharf voneinander abgegrenzt sind. Jede Möglichkeit von Fortschritt oder Evolution wird bestritten, und die Revolution erfolgt als Eingriff in die Welt."

Die Autoren zeigen mit ihrer Studie eindruckvoll auf, dass sowohl die ArbeiterInnenbewegung als auch die libertäre Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts dem im Judentum verankerten Gerechtigkeits- und Freiheitsimpulsen viel zu verdanken haben. (js)

Über die Autoren

Portmann, Werner Werner Portmann, geb. 1958, Publizist, lebt in Zürich. Mitarbeit an verschiedenen Büchern zum Thema Anarchismus. Etliche Publikationen zur ArbeiterInnenbewegung und Filmgeschichte, u.a. Texte zu Carl Einstein, Oskar Maria Graf, Luigi Luccheni und Heiner Koechlin.


Wolf, Siegbert Siegbert Wolf, geb. 1954, Dr. phil., Historiker und Publizist, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Zahlreiche Bücher u.a. über Gustav Landauer, Martin Buber, Hannah Arendt, Jean Améry sowie zur Frankfurter Stadtgeschichte: Hrsg.: Jüdisches Städtebild Frankfurt am Main (1996), Hrsg.: Die Juden an der Universität Frankfurt (1997), zuletzt: Gustav Landauer, Die Revolution (1907). Hrsg., mit einem Vorwort, kommentiert und einem Register von Siegbert Wolf (2003).