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Karin Kramer - Gedenkseite: Unterschied zwischen den Versionen

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=Nachrufe und Erinnerungen=
 
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==Aus der Anarchie kommen wir - der Anarchie gehen wir entgegen. Nachruf von Jochen Schmück==
  
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I.
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Der 3. April 2014 war ein Frühlingstag wie aus dem Bilderbuch. Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, die Vögel flippten aus vor Lebenslust. Ein Tag, der einen heiter anlachte. Aber mir war nicht nach Lachen zumute, denn ich war auf dem Weg zur Beerdigung der Anarchistin und Verlegerin Karin Kramer, die auf dem Neuen Luisenstadt-Friedhof an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln stattfinden sollte.
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Vor der im Schatten alter Laubbäume liegenden Friedhofskapelle des Neuen Luisenstadt-Friedhofs warteten in kleinen Gruppen zahlreiche Trauergäste, die meisten in Schwarz gekleidet, sei es um ihre Trauer zu bekunden oder um sich als Teil des anarchistischen "Schwarzen Blocks" zu outen. Obwohl es in der ersten Mitteilung zum Tod von Karin Kramer geheißen hatte, dass die Beerdigung im kleinen Kreis stattfinden sollte, waren weit mehr als hundert Menschen erschienen. Angehörige, Freundinnen und Freunde, Autorinnen und Autoren des Verlages, Nachbarn und politische Weggefährten. Die Mehrzahl von ihnen bereits im vorgerückten Alter.
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Pünktlich um 11 Uhr erfolgte der Einlass in die kleine Friedhofskapelle, deren Bänke sich schnell füllten, so dass einige Trauergäste stehen mussten. Vorne auf einem Podest war der helle buchenholzfarbige Sarg mit Karins Leichnam aufgebahrt. Er war mit einem sommerlichen Blumengesteck geschmückt, und einige der Trauergäste legten vor dem Sarg ihre mitgebrachten weißen Rosen oder roten Nelken ab. Getragene Musik setzte ein. Die Gespräche ebbten ab. Es wurde ruhig in der Kapelle. Der Trauerredner trat an das Pult, und mein Nachbar flüsterte mir als Antwort auf meinen fragenden Blick zu: "Das ist Dr. Seltsam", also der in der linken Szene unter diesem Künstlernamen bekannte Kabarettist Wolfgang Kröske aus Berlin.
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In seiner Trauerrede ging der Redner auf Leben und Werk der anarchistischen Verlegerin Karin Kramer ein, die gemeinsam mit ihrem Mann Bernd seit 1968 maßgeblichen Anteil daran hatte, dass im deutschen Sprachraum die anarchistischen Ideen wiederentdeckt, diskutiert und neu formuliert wurden. An den Beginn seiner Rede stellte Dr. Seltsam eine Aussage, die ich bestätigen kann:
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''"Karin Kramer - jeder von uns hier hat wohl ein oder mehrere Bücher aus dem Karin-Kramer-Verlag in seiner Bibliothek oder hat früher etwas aus dem Verlag gelesen, was unser Leben tiefgründig beeinflusst hat."''
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Ja, das hat es, worüber ich im Folgenden berichten will:
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II.
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So wie die Kramers bin auch ich in West-Berlin von der 1968er Revolte erfasst worden, und sie sollte mein weiteres Leben nachhaltig prägen. Noch bevor ich Karin und Bernd Kramer persönlich kennenlernte, war ich mit ihren frühen Publikationen - wie z.B. ihrer Untergrundzeitschrift "Linkeck" - in Kontakt gekommen.
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Als Schüler, der in Berlin-Lichtenrade die Theodor-Haubach-Hauptschule besuchte, war ich 1968 der maoistischen "Roten Garde" beigetreten, weil mir die Militanz der Rotgardisten auf den Demos in der West-Berliner Innenstadt imponiert hatte. Aber allzu lange habe ich es bei den Maoisten nicht ausgehalten. Der paramilitärische Drill, die Uniformen (so wie in der VR China zur Zeit der Kulturrevolution trugen auch die deutschen Rotgardisten einheitlich blaue Werkanzüge), die streng hierarchische Organisationsstruktur und die autoritäre Anmaßung der Kader, die in der Roten Garde das "Sagen" hatten, die lächerlichen und entwürdigenden Rituale, wie das der politischen Selbstkritik, all dies stieß mich ab und war mit meiner Sehnsucht nach Freiheit und Gleichheit nicht vereinbar. Ich bin dann auch nach einigen Monaten recht unsanft aus diesem maoistischen Verein rausgeflogen, weil ich ohne Absprache mit der "Roten Garde" an meiner Schule einen wilden Schulstreik angezettelt hatte.
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Bei meiner politischen Neuorientierung und schließlichen Hinwendung zum Anarchismus haben mir die von den Kramers und anderen Mitgliedern der antiautoritären Linkeck-Kommune herausgegebenen Schriften, die sich kritisch mit dem Marxismus-Leninismus beschäftigten, wertvolle Hilfestellungen gegeben.
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Persönlich habe ich die Kramers Anfang der 1970er Jahre kennengelernt. Ich hatte inzwischen eine Lehre als Kupferdrucker beendet und war ebenso wie meine beiden Brüder und mein Freund Rolf Raasch Mitglied im Anarchistischen Arbeiter-Bund geworden, der mit dem inzwischen gegründeten Karin-Kramer-Verlag in regem Kontakt stand. Nach meiner Lehre habe ich bei der unter DDR-Verwaltung stehenden Deutschen Reichsbahn einen Job als Rangierarbeiter angenommen. Auch andere Genossen vom AAB arbeiteten bei der Reichsbahn, in der wir eine oppositionelle "Schwarze Zelle" aufgebaut hatten, deren basisgewerkschaftlichen Aktivitäten der Partei- und Betriebsleitung sowie der Stasi der DDR durchaus einigen Stress bereiteten. Ich wohnte damals im gleichen Kiez wie die Kramers, dem alten Neuköllner Rollberg-Viertel. Die Mieten dort waren billig, weil das ganze Viertel, Haus um Haus und Straßenzug um Straßenzug abgerissen bzw. weggesprengt wurde (und als Anarchisten waren wir an Detonationen gewöhnt). Ich habe die Kramers häufiger besucht, um zu hören, was los ist, um über unsere Aktivitäten zu berichten und auch um Bücher für den AAB zu kaufen.
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Nachdem ich eine Weile im Ausland, erst in England, dann in Kanada und in Mexiko, gelebt hatte, bin ich um 1977 wieder zurück nach Berlin-Neukölln gezogen, diesmal in die Sonnenallee, nicht weit entfernt vom jetzigen Wohnsitz der Kramers. Der Anarchistische Arbeiter-Bund hatte sich inzwischen aufgelöst. Zusammen mit Rolf, meinem Freund, sowie meinen beiden Brüdern Christian und Thomas und zwei anderen ehemaligen AAB'lern gründete ich 1978 den Libertad Verlag. Da wir keine Ahnung hatten, wie man einen Verlag betreibt, waren die Kramers mit ihrem Verlag unsere erste Anlaufstelle, um das nötige Wissen für die Gründung und den Betrieb des Verlages zu bekommen. Damals und auch später haben uns Karin und Bernd immer wieder viele hilfreiche Tipps gegeben, die uns die Gründung und den fortlaufenden Betrieb des Libertad Verlages erleichtert haben. Während uns Karin vor allem das verlagskaufmännische Grundwissen vermittelt und uns Empfehlungen für den Vertrieb gegeben hat, haben wir von Bernd das verlegerische know-how für die Bereiche Lektorat und Redaktion sowie zur Buchherstellung bekommen.
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In den folgenden Jahren habe ich die Kramers dann vor allem auf Veranstaltungen des Berliner Libertären Forums und auf der Frankfurter Buchmesse bzw. der Gegenbuchmesse gesehen. Im Rahmen der Gegenbuchmessen, von denen ich zwei miterlebt habe, haben sich die damaligen deutschsprachigen anarchistischen Verlage (als da waren: der Karin Kramer Verlag, der Verlag Freie Gesellschaft, Libertad Verlag, Impuls Verlag und Verlag Büchse der Pandora) getroffen, um über Möglichkeiten zur Kooperation zu reden. Dabei ist nicht viel mehr rausgekommen als ein Gemeinschaftskatalog der anarchistischen Verlage, der im Herbst 1977 erschienen ist. Aber es waren gute Gespräche, die wir geführt haben, Gespräche, die vom Geist der Solidarität getragen waren.
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Ende der 1970er Jahre hatte ich in der Volkshochschule Charlottenburg mein Abi nachgeholt und habe in dieser Zeit und auch in meinem späteren Studium an der Freien Universität Berlin die Publikationen des Karin Kramer Verlages sehr geschätzt. Die persönlichen Begegnungen mit den Kramers wurden seltener, waren aber immer herzlich. Gelegentlich bin ich Karin oder Bernd auf der Alten Post in der Karl-Marx-Straße begegnet, wenn sie und ich die Büchersendungen unserer Verlage in den Versand brachten und wir unsere Postfächer leerten. 1988 war unser gemeinsamer Freund Fritz Scherer im Alter von 86 Jahren gestorben. Fritz, der zu den wenigen deutschen Anarchisten gehörte, die das Dritte Reich überlebt hatten, hatte ebenfalls in Neukölln gelebt und sowohl den Karin Kramer Verlag als auch den Libertad Verlag nach Kräften unterstützt. Seine Beerdigung war die erste anarchistische Beerdigung, die ich miterlebt hatte, und einige der Trauergäste von damals habe ich nun auch bei der Beerdigung von Karin Kramer wiedergesehen.
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Ich bin 1996 von Neukölln nach Potsdam gezogen und war in dieser Zeit beruflich in der Internetbranche aktiv. Um den Libertad Verlag konnte ich mich in dieser Zeit kaum noch kümmern, und da ich aus beruflichen Gründen für einige Zeit erst in Düsseldorf und danach in Den Haag lebte, wurden die Begegnungen mit den Kramers noch seltener. Wir haben uns in diesen Jahren ein, zwei Mal auf der Buchmesse und auf Veranstaltungen getroffen. 2006 war unser gemeinsamer Freund Arno Giegerich gestorben, mit dem ich Ende der 1970er Jahre an der Volkshochschule Charlottenburg das Abi nachgeholt und in der Zeit der "Häuserkämpfe" in den Nächten manche fantasievolle illegale Aktion durchgeführt hatte. Arno, der an einer seltenen genetisch bedingten Krankheit gestorben war und den Tod langsam hatte auf sich zukommen sehen, hatte für seine Freundinnen und Freunde eine grandiose "Abschiedsparty" ausrichten lassen, die in den Räumlichkeiten der von ihm mit aufgebauten Metallbaufirma Zyklus in Berlin-Kreuzberg stattfand. Und da, an diesem warmen Sommerabend im Juni 2006,  saßen wir uns auf Arnos letzter Fete an einem Biertisch gegenüber, die beiden Kramers und ich, und schauten uns nachdenklich an und dachten unausgesprochen das Gleiche: Die nächste Abschiedsfete könnte unsere eigene sein. Für unsere Generation war die Zeit des Abschiednehmens gekommen. Das war uns klar. Und in der Tat ist seitdem kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht gute Freundinnen und Freunde von uns gegangen sind.
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Noch ein Treffen mit den beiden Kramers ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben, bei dem mir Karins besonnene und kluge Haltung imponiert hat. Im Frühjahr 2006 hatte die Münchner Ortsgruppe der FAU-IAA von dem im Libertad Verlag erschienenen Buch "Freiheit und Brot" eine Raubveröffentlichung herausgebracht, gegen die sich Hartmut Rübner, der Autor des Buches, sowie ich für den Verlag, unter Androhung juristischer Konsequenzen mit einer privaten Unterlassungserklärung, zur Wehr gesetzt hatten. Das wiederum führte zu einem extrem eskalierenden Konflikt mit den Betreibern des Internetportals Anarchopedia, die sich im Konflikt zwischen der FAU-IAA und dem Libertad Verlag auf die Seite der Raubdrucker geschlagen hatten. Nicht nur der Libertad Verlag und der Autor des Buches wurde fortan von den Anarchopeden auf das Gehässigste bekämpft, sondern auch alle, die sich in dem Konflikt mit dem Libertad Verlag solidarisiert hatten. Der Konflikt, der von Seiten der Anarchopeden anonym geführt wurde, gipfelte schließlich in einer Generalattacke gegen die älteren anarchistischen Verlage, darunter neben dem Libertad Verlag auch der Karin Kramer Verlag, der OPPO Verlag sowie die Zeitschrift Espero. Diese wurden einer anarchokapitalistischen Verschwörung gegen die libertäre Bewegung beschuldigt. Die Verschwörung, der man den griffigen Namen "Schwarze Spinne" gegeben hatte, stand (so der O-Ton auf der Anarchopedia) "für das geheime Netzwerk derjenigen Personen, die die anarchistische Bewegung als Verleger (Libertad Verlag, Kramer Verlag, OPPO-Verlag) ökonomisch ausbeuten und sie politisch mit ihren antisemitischen, chauvinistischen und nationalistischen Ideen zu indoktrinieren versuchen." Das war starker Tobak, aber irgendwie noch witzig.
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Da jedoch die Angriffe der Anarchopeden gegen die Personen, die der Verschwörung der "Schwarzen Spinne" zugerechnet wurden, immer widerwärtiger wurden (dem einen wurden antisemitische Entgleisungen vorgeworfen, ein anderer wurde beschuldigt ein Kinderschänder zu sein und gegen mich wurde sogar ein Mordaufruf lanciert), haben wir uns getroffen, um zu beraten, wie wir uns am besten gegen diese infame Kampagne zur Wehr setzen könnten. Das Treffen der Berliner Ortsgruppe der "Schwarzen Spinne" fand in der Wohnung der Kramers in Neukölln statt, und an ihm nahmen teil: Karin und Bernd Kramer, Rolf Raasch für den OPPO-Verlag, Jochen Knoblauch für die Zeitschrift "Espero" und ich für den Libertad Verlag. Von der Anarchopeden-Kampagne, die vor allem im Internet ausgetragen wurde, hatten die Kramers bisher nur am Rande erfahren. Wir tauschten unsere Erfahrungen aus und diskutierten hin und her, wie wir uns am besten gegen die Angriffe der Anarchopeden zur Wehr setzen könnten. Karin hörte sich die Diskussion ruhig an und als sich unsere Argumente für und wider die unterschiedlichen Vorschläge zur Reaktion erschöpft hatten, lautete ihr Vorschlag: "Am besten ist es, überhaupt nicht darauf zu reagieren! Denn solange wir noch auf die reagieren, geben wir dem Affen weiter Zucker!" Ihr Argument war einleuchtend, und wir haben uns dann auch darauf geeinigt. Nachdem der Autor und ich für den Libertad Verlag auf der Anarchopedia noch ein letztes Statement in der Sache abgegeben hatten, verlief sich die irrsinnige Anarchopeden-Kampagne, wie von Karin vorausgesagt, allmählich im Sande.
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In den letzten Jahren habe ich dann wieder häufiger Kontakt mit den Kramers gehabt, vor allem mit Karin. Zum einen habe ich gelegentlich Neuerscheinungen ihres Verlages als Buchempfehlung im DadAWeb- Internetportal vorgestellt und mir von Karin Informationen zu den Büchern und ihren Autorinnen und Autoren geben lassen. Zum anderen habe ich auch immer wieder die Bücher des Karin Kramer Verlages, auch die älteren Titel, direkt beim Verlag für das Sortiment des 2009 von mir gegründeten aLibro Buchversands gekauft. Bei meinen Besuchen bei den Kramers war nicht zu übersehen, dass es ihnen mit ihrem Verlag ökonomisch nicht sonderlich gut ging. Aber ich habe nie das Gefühl gehabt, dass sie über ihr Leben oder ihr Alter verbittert waren. Immer wieder im Frühling haben wir ausgemacht, dass wir dieses Jahr nun endlich mal gemeinsam zum Baumblütenfest in Werder an der Havel fahren. Und jedes Jahr kam immer wieder etwas dazwischen.
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III.
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Diese Begegnungen und Erlebnisse mit Karin kommen mir in den Sinn, während Dr. Seltsam in seiner Trauerrede das Leben und Wirken von Karin Kramer skizziert. Nachdem er seine Gedenkrede auf Karin beendet hat, ergreift Bernd Kramer kurz das Wort und dankt mit leiser Stimme den Trauergästen für ihr Kommen. Jemand hat eine Spendenbüchse organisiert, mit der für den Karin Kramer Verlag gesammelt wird, der ohne Karin schweren Zeiten entgegengeht. Die Türen der Trauerkapelle öffnen sich, und die Trauernden folgen dem Sarg hinaus auf den Friedhof ans Grab.
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Die zahlreichen Trauergäste haben sich in kleinen Gruppen um Karins Grab versammelt, hinter dem zwei Birken aufragen. Ich stehe in einer Gruppe zusammen mit Ralf Landmesser, Jochen Knoblauch, Hartmut Rübner und Bernd Drücke. Auch am Grab ergreift Dr. Seltsam das Wort und versucht Trost zu spenden. Ich stehe zu weit entfernt, um alles zu verstehen. Mich erreichen Worte wie "Schmetterling", und "Raupe". Aber ich will auch nichts mehr hören. Ich sehe Bernd Kramer, eingerahmt von Freunden und Verwandten, wie er niedergeschlagen in das offene Grab blickt, und auch mich versteinert in diesem Moment die Trauer.
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Ich überwinde mich, trete an das Grab und werfe Karin als letzten Gruß drei Handvoll Erde und die mitgebrachte weiße Rose auf den Sarg. Ich möchte "Lebe wohl!" sagen, aber es ist ein Abschied für immer, ein Abschied vom Leben, für den ich keine Worte habe.
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Karin Kramer ist tot, und mit ihr geht ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des deutschsprachigen Anarchismus zu Ende. Es ist ihr Verdienst und des nach ihr benannten Verlages, dass das libertäre Denken hierzulande nach Faschismus und Krieg wieder neu belebt wurde und inzwischen feste Wurzeln in der Kultur unserer Gesellschaft geschlagen hat. Aus der Anarchie kommen wir und der Anarchie gehen wir entgegen. Und das dem so ist, dieses Wissen verdanken wir nicht zuletzt Karin Kramer und den Büchern, die in ihrem Verlag erschienen sind. Es ist ein Wissen, das Hoffnung macht.
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Nach der Beerdigung findet in einer gegenüber dem Friedhof liegenden Eckkneipe, der Thomas-Klause, ein Umtrunk statt. Die Kneipe ist noch eine der typischen Neuköllner Eckkneipen, von denen es inzwischen nicht mehr viele gibt. Ein größerer Tross der Trauergäste folgt Bernd Kramer in den halbdunklen Hinterraum der Kneipe und nimmt dort an zwei, drei größeren Tischen Platz. Mir ist es dort zu verqualmt, und ich setze mich mit der Gruppe, die sich bereits an Karins Grab zusammengefunden hatte, an einen der kleinen Tische, die draußen vor der Kneipe auf dem Bürgersteig aufgestellt wurden. Wir sitzen im Sonnenschein, trinken Bier oder Kaffee und essen Falafel, den wir uns vom libanesischen Imbiss gegenüber geholt haben. Wir reden über unsere Erlebnisse mit Karin und Bernd und tauschen uns über unsere aktuellen Projekte und Zukunftspläne aus, und wir reden über den Tod. Am Nebentisch sitzen Freundinnen von Karin, die Fotos von ihr herumreichen. Und plötzlich hat jeder eine Kamera oder ein Smartphone in der Hand und fängt an Fotos von den anderen zu machen. Wer weiß. Es könnte ja das letzte Foto sein, das man voneinander hat. Aber immerhin: Jeder fotografiert den anderen. Niemand kommt auf die Idee ein Selfie zu machen. Das finde ich in dem Moment irgendwie tröstlich.
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Jochen Schmück<br>
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Aus: "[http://ramus.at/erkenntnis.htm Erkenntnis]", Nr. 22, Wien 2014 (erscheint dieser Tage)
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=="Es kommt auf die Bedürfnisse an". Von Bernd Drücke==
 
=="Es kommt auf die Bedürfnisse an". Von Bernd Drücke==
  

Version vom 17. Juli 2014, 07:54 Uhr

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Karin Kramer, 2012. Foto: Petrov Ahner. (c) Bibliothek der Freien, Berlin.

Karin Kramer ist tot

Am 20. März 2014 ist in Berlin die anarchistische Verlegerin Karin Kramer (geb. Höpfner, 09.11.1939) im Alter von 74 Jahren gestorben. Karin Kramer hatte seit Anfang der 1970er Jahre zusammen mit ihrem Mann Bernd Kramer den nach ihr benannten Buchverlag in Berlin-Neukölln betrieben, der für viele seiner Leserinnen und Leser zum Synonym für anarchistische Literatur werden sollte. Über vier Jahrzehnte haben Karin und Bernd mit ihren Buchveröffentlichungen maßgeblich dazu beigetragen, dass auch im deutschen Sprachraum neu und vermehrt über Anarchie und Anarchismus nachgedacht und diskutiert wurde. Niemals zuvor war das Angebot an deutschsprachiger anarchistischer Literatur so groß und thematisch vielfältig wie heute, und das verdanken wir nicht zuletzt auch Karin Kramer und dem nach ihr benannten Verlag.

Die Autorinnen und Autoren des DadAWeb sowie des Lexikons der Anarchie trauern um eine liebe Freundin und kämpferische Weggefährtin. Karin, wir vermissen Dich schmerzlich! Und Dir, Bernd, wünschen wir viel Kraft in dieser schweren Zeit, in der Du auf unsere Solidarität zählen kannst.

Wer seine Erinnerungen an Karin Kramer mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Karin-Kramer-Gedenkseite.

Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.

Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de


Die Beerdigung

Die Beerdigung von Karin Kramer fand am Donnerstag, dem 3. April 2014 auf dem Neuen Luisenstadt-Friedhof in Berlin-Neukölln unter Anteilnahme zahlreicher Freund_innen, Autor_innen und politischen Weggefährt_innen statt. Die Trauerrede hielt der als Dr. Seltsam bekannte Berliner Kabarettist Wolfgang Kröske.


Die Trauerrede von Wolfgang Kröske/Dr. Seltsam

Lieber Bernd, liebe Anverwandte, liebe Trauergemeinde!

Bevor ich beginne, teile ich euch eine E-mail mit von H. J. Viesel mit, der darauf hinweisen möchte, dass zur Zeit bis zum 6. April eine Fotoausstellung von Ruth Westerwelle stattfindet, darunter zwei schöne Porträtbilder von Karin, und zwar ausgerechnet in der SPD-Zentrale in der Wilhelmstraße.

Karin hatte vor Jahren in einem Interview mit der Zeitung Graswurzelrevolution gesagt: "Manches treibt einen zum Nonkonformismus. In unserer Familie gab es übrigens ein ganz frühes Berufsverbot. Mein Großvater, der in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts illegal SPD-Flugblätter in Hausbriefkästen verteilte, wurde denunziert und verlor seine Arbeit als Gärtner bei der Stadt Berlin."

Die Beerdigung von Karin Kramer am 3. April 2004 auf dem Neuen Luisenstadt-Friedhof in Berlin-Neukölln. Der aufgebahrte Sarg mit dem Leichnam Karins in der Friedhofskapelle. (c) Bernd Drücke 2014 / graswurzelrevolution

Karin Kramer - jeder von uns hier hat wohl ein oder mehrere Bücher aus dem Karin-Kramer-Verlag in seiner Bibliothek oder hat früher etwas aus dem Verlag gelesen, was unser Leben tiefgründig beeinflusst hat. Ich selber erinnere mich, als ich 1975 zum ersten Mal die linken Büchertische vor der TU sah, dass mir sofort die reptilienschwarzglänzend gebundenen Werke aufgefallen sind von Autoren, die durch die Hitlerei in Deutschland fast vergessen waren wie Bakunin, Malatesta, Kropotkin und Erich Mühsam. Ich las die Namen und die Titel und das allein ersetzte schon ein mehrsemestriges alternatives Studium, zum Beispiel Mühsam: "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat". Ist nicht jede rebellische linke Bewegung letztlich darauf gerichtet, die Gesellschaft vom Staat zu befreien?

Karin Kramers Verlag gehörte zu den großen linken Verlagen, die das literarische Weltbild der Nach-68er geprägt haben, aber der Karin- Kramer-Verlag hat länger als alle anderen durchgehalten, zum Beispiel der "Rote Stern" ist verschwunden, ebenso der "März-Verlag" oder "Trikont". Dass der KKV durch alle Fährnisse von Steuern und politischer Bedrohung durchgehalten hat, ist vor allem das Verdienst der ökonomischen Leitung Karins. Sie hat mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit für die Sorgen und ihren Durchhaltewillen bezahlt, damit wir linke Literatur lesen können. Der Name Karin-Kramer-Verlag war gut gewählt, er klingt gut, hat inneren Swing und ist ein Ausdruck weiblichen Selbstbewusstseins. Er kommt auch in der ersten frühen Enzyklopädie der 68er-Helden vor, bei Peter Mosler "Was wir wollten, was wir wurden." (Rowohlt 1977) Hier haben Bernd und Karin Kramer ein ganzes eigenes Kapitel, sie geben in ihrem Interview Aufschlüsse über ihre Anfänge und die tiefen Beweggründe ihres Lebens und, soweit wir selber Unverbogene sind, könnten es auch die unseren sein.

„Seit 1967 wohnte Bernd mit seiner Frau Karin in der „Linkeck“-Kommune Berlin. Es gab damals viele linke Szene-Blätter, so die „Oberbaum-Blätter“, doch die waren vielen zu brav. So kam s zu der Idee, eine Zeitung der Berliner Subkultur zu machen. In einer Eckkneipe rätselten die Genossen über den Namen des Blattes: Wenn es ein Rechteck gibt, muss es auch ein Linkeck geben! Damit war der Name für die Zeitung gefunden. Linkeck erscheint monatlich, Jahresabo 9,50 DM. Schüler, Jungarbeiter, Gammler bekommen Sonderrabatt. Linkeck ist Mitglied im European Underground Press Syndicate. Die erste Zeitung erschien mit BZ-Titel, aus einem nackten Arsch stiegen Furzwölkchen auf: „Dreigeteilt niemals!“ So wurde die reaktionäre Parole der Springerpresse verhöhnt.

Nach dem 2. Juni 1967 gingen sie immer zu Demonstrationen, fast jede Woche. Es war einfach notwendig hinzugehen, es gab keine Diskussionen darüber. Es ging nicht nur um Vietnam, Griechenland, Spanien oder Springer, sondern es gab einen Aufruhr im eigenen Körper, der sich Bahn brechen wollte. Dann standen sie in der Nacht im Strom Hunderter auf dem Kudamm, sahen Polizisten vor den Demonstranten davonlaufen, hörten Fensterscheiden klirren, Bauwagen quer über die Straße geschoben, irgendwo brannte es, dazwischen wie die Seele des Untergrunds ein kleiner drahtiger Genosse mit Bürstenschnitt, der die Fertigkeit besaß, mit einem faustgroßen Stein über dreißig Meter eine Straßenlaterne zu treffen. Alle hatten das Gefühl: Wir werden siegen, wir werden viele sein, die Straßen gehören uns, die Stadt gehört uns. Nirgends Angst, nirgends Furcht oder Beklemmung, es gab keine Bremse in diesen explosiven Zügen von Gewalttätigkeit und Siegesrausch. Wir dachten im Vorwärtsstürmen: Das muss die Freiheit sein, das Chaos! Das war es, diese ungeahnte Kraft und Energie, auch eine Blindheit vor der Polizei. Ein Genosse erzählte von dem Traum einer Demonstration, dreitausend Demonstranten und an der Spitze zwei Reiter auf schweren schwarzen Rossen mit einer schwarzen und einer roten Fahne. Sie fühlten damals, dass dort auf der Straße ein Teil der eigenen Lebensgeschichte abgehandelt wurde.

Ich denke diese Lebensgefühl hat auch Karin ein Leben lang getragen und die Hoffnung, solche Zeiten wieder zu erleben. 1968 gab es einen Aufsehen erregenden Beleidigungsprozess, der CDU-Abgeordnete Wohlrabe hatte sie verklagt. Das Gericht fand, „selbst einem besonders unbegabten und ungebildeten Leser ist beim Studium des Artikels klar, dass er nicht auf Tatsachen beruht, sondern eine satirische Arbeit darstellt...“ Insgesamt kostete der Prozess 7000 DM Strafe, aber das Verdikt Trockenpisser Wohlrabe blieb zeitlebens mit seinem Namen verbunden.

Die Linkeck-Kommune wurde immer mehr zur Wärmehalle und Drogenstation. Bernd und Karin hatten angefangen, Reprints zu drucken, Bücher die im normalen Buchladen zu teuer waren oder gar nicht mehr erhältlich. Irgendwie wurde aus dem Reprint-Unternehmen einVerlag, zunächst als Hobbyverein angemeldet, aber dann rutschten sie doch in die Professionalität und waren nun der stolze Karin Kramer Verlag und der Stolz der Berliner Linken. Sie hatten ihr knappes Auskommen, Reichtümer konnten sie mit dem Verlag nie erwerben, in den ersten Jahren gab es 718 DM Lohn für mehr als 45 Arbeitsstunden, aber Rückkehr und Unterwerfung unter das Fabrikregime und abhängige Beschäftigung kam für beide nicht mehr in Frage.

Der Karin Kramer Verlag hielt die Erinnerung wach an Freiheit und Revolte und machte sich alle zu Freunden, die ebenso fühlten. Das war die öffentliche Seite von Karins Leben, wofür wir ihr großen Dank schulden. Aber es gab ja auch noch die private Seite, den Sohn Daniel, der heute Soziologe in Australien ist, seine Frau Esther und die Enkel Daan und Ben, alles jüdische Namen, aber das hat keine religiöse Bedeutung, klingt halt gut. Gemeinsam mit ihrer Schwester Margit hat sich Karin immer auch der Familie gewidmet. Von Daniel habe ich einen Brief bekommen, worin er sich an die schönsten Zeiten mit Karin erinnert, den möchte ich jetzt zum Abschluss vortragen:

Karin und Bernd hatten in den 1970er Jahren gemeinsam mit Freunden einen Kinderladen gegründet, um ihren Kindern selbst etwas zu vermitteln, und dies nicht dem Staat zu überlassen. In großen Gruppen unternahmen wir mehrere Reisen nach Italien.

Karin sprach Esperanto - hierin spiegelt sich ihr Interesse, ihre Neugierde und ihr Wunsch, andere Menschen aus anderen Kulturen kennen- und verstehen zu lernen.

Karin hielt mir - als ihrem Sohn - immer den Rücken frei und unterstützte mich in all meinen Wünschen, etwa den zahlreichen Reisen und meinem umfassenden Studium.

So stand sie mir auch zur Seite, als klar wurde, dass ich nach Australien auswandern werde. Obwohl sie dies natürlich bedauerte, und auch grade ihre beiden Enkelsöhne (meine Söhne - Ben und Daan) vermissen würde, wollte sie unseren Plänen auf keinen Fall entgegenstehen.

Und schließlich war sie mich im Januar 2013 in Australien besuchen, gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Schwager. Es war ein tolles Zusammentreffen auf dem Fünften Kontinent und wir hatten eine wunderbare Zeit.

Ein großes Glück, denke ich, dass Karin vor ihrer Krankheit alle noch mal in Australien besuchen konnte. Nicht nur ihr Mann und ihre Familie werden sie in lieber Erinnerung behalten, auch wir linken Weggefährten werden sie nicht vergessen.

Quelle: (c) und mt freundlicher Genehmigung von Dr. Seltsam / Wolfgang Kröske, Berlin 2014



Nachrufe und Erinnerungen

Aus der Anarchie kommen wir - der Anarchie gehen wir entgegen. Nachruf von Jochen Schmück

I.

Der 3. April 2014 war ein Frühlingstag wie aus dem Bilderbuch. Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, die Vögel flippten aus vor Lebenslust. Ein Tag, der einen heiter anlachte. Aber mir war nicht nach Lachen zumute, denn ich war auf dem Weg zur Beerdigung der Anarchistin und Verlegerin Karin Kramer, die auf dem Neuen Luisenstadt-Friedhof an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln stattfinden sollte.

Vor der im Schatten alter Laubbäume liegenden Friedhofskapelle des Neuen Luisenstadt-Friedhofs warteten in kleinen Gruppen zahlreiche Trauergäste, die meisten in Schwarz gekleidet, sei es um ihre Trauer zu bekunden oder um sich als Teil des anarchistischen "Schwarzen Blocks" zu outen. Obwohl es in der ersten Mitteilung zum Tod von Karin Kramer geheißen hatte, dass die Beerdigung im kleinen Kreis stattfinden sollte, waren weit mehr als hundert Menschen erschienen. Angehörige, Freundinnen und Freunde, Autorinnen und Autoren des Verlages, Nachbarn und politische Weggefährten. Die Mehrzahl von ihnen bereits im vorgerückten Alter.

Pünktlich um 11 Uhr erfolgte der Einlass in die kleine Friedhofskapelle, deren Bänke sich schnell füllten, so dass einige Trauergäste stehen mussten. Vorne auf einem Podest war der helle buchenholzfarbige Sarg mit Karins Leichnam aufgebahrt. Er war mit einem sommerlichen Blumengesteck geschmückt, und einige der Trauergäste legten vor dem Sarg ihre mitgebrachten weißen Rosen oder roten Nelken ab. Getragene Musik setzte ein. Die Gespräche ebbten ab. Es wurde ruhig in der Kapelle. Der Trauerredner trat an das Pult, und mein Nachbar flüsterte mir als Antwort auf meinen fragenden Blick zu: "Das ist Dr. Seltsam", also der in der linken Szene unter diesem Künstlernamen bekannte Kabarettist Wolfgang Kröske aus Berlin.

In seiner Trauerrede ging der Redner auf Leben und Werk der anarchistischen Verlegerin Karin Kramer ein, die gemeinsam mit ihrem Mann Bernd seit 1968 maßgeblichen Anteil daran hatte, dass im deutschen Sprachraum die anarchistischen Ideen wiederentdeckt, diskutiert und neu formuliert wurden. An den Beginn seiner Rede stellte Dr. Seltsam eine Aussage, die ich bestätigen kann:

"Karin Kramer - jeder von uns hier hat wohl ein oder mehrere Bücher aus dem Karin-Kramer-Verlag in seiner Bibliothek oder hat früher etwas aus dem Verlag gelesen, was unser Leben tiefgründig beeinflusst hat."

Ja, das hat es, worüber ich im Folgenden berichten will:


II.

So wie die Kramers bin auch ich in West-Berlin von der 1968er Revolte erfasst worden, und sie sollte mein weiteres Leben nachhaltig prägen. Noch bevor ich Karin und Bernd Kramer persönlich kennenlernte, war ich mit ihren frühen Publikationen - wie z.B. ihrer Untergrundzeitschrift "Linkeck" - in Kontakt gekommen.

Als Schüler, der in Berlin-Lichtenrade die Theodor-Haubach-Hauptschule besuchte, war ich 1968 der maoistischen "Roten Garde" beigetreten, weil mir die Militanz der Rotgardisten auf den Demos in der West-Berliner Innenstadt imponiert hatte. Aber allzu lange habe ich es bei den Maoisten nicht ausgehalten. Der paramilitärische Drill, die Uniformen (so wie in der VR China zur Zeit der Kulturrevolution trugen auch die deutschen Rotgardisten einheitlich blaue Werkanzüge), die streng hierarchische Organisationsstruktur und die autoritäre Anmaßung der Kader, die in der Roten Garde das "Sagen" hatten, die lächerlichen und entwürdigenden Rituale, wie das der politischen Selbstkritik, all dies stieß mich ab und war mit meiner Sehnsucht nach Freiheit und Gleichheit nicht vereinbar. Ich bin dann auch nach einigen Monaten recht unsanft aus diesem maoistischen Verein rausgeflogen, weil ich ohne Absprache mit der "Roten Garde" an meiner Schule einen wilden Schulstreik angezettelt hatte.

Bei meiner politischen Neuorientierung und schließlichen Hinwendung zum Anarchismus haben mir die von den Kramers und anderen Mitgliedern der antiautoritären Linkeck-Kommune herausgegebenen Schriften, die sich kritisch mit dem Marxismus-Leninismus beschäftigten, wertvolle Hilfestellungen gegeben.

Persönlich habe ich die Kramers Anfang der 1970er Jahre kennengelernt. Ich hatte inzwischen eine Lehre als Kupferdrucker beendet und war ebenso wie meine beiden Brüder und mein Freund Rolf Raasch Mitglied im Anarchistischen Arbeiter-Bund geworden, der mit dem inzwischen gegründeten Karin-Kramer-Verlag in regem Kontakt stand. Nach meiner Lehre habe ich bei der unter DDR-Verwaltung stehenden Deutschen Reichsbahn einen Job als Rangierarbeiter angenommen. Auch andere Genossen vom AAB arbeiteten bei der Reichsbahn, in der wir eine oppositionelle "Schwarze Zelle" aufgebaut hatten, deren basisgewerkschaftlichen Aktivitäten der Partei- und Betriebsleitung sowie der Stasi der DDR durchaus einigen Stress bereiteten. Ich wohnte damals im gleichen Kiez wie die Kramers, dem alten Neuköllner Rollberg-Viertel. Die Mieten dort waren billig, weil das ganze Viertel, Haus um Haus und Straßenzug um Straßenzug abgerissen bzw. weggesprengt wurde (und als Anarchisten waren wir an Detonationen gewöhnt). Ich habe die Kramers häufiger besucht, um zu hören, was los ist, um über unsere Aktivitäten zu berichten und auch um Bücher für den AAB zu kaufen.

Nachdem ich eine Weile im Ausland, erst in England, dann in Kanada und in Mexiko, gelebt hatte, bin ich um 1977 wieder zurück nach Berlin-Neukölln gezogen, diesmal in die Sonnenallee, nicht weit entfernt vom jetzigen Wohnsitz der Kramers. Der Anarchistische Arbeiter-Bund hatte sich inzwischen aufgelöst. Zusammen mit Rolf, meinem Freund, sowie meinen beiden Brüdern Christian und Thomas und zwei anderen ehemaligen AAB'lern gründete ich 1978 den Libertad Verlag. Da wir keine Ahnung hatten, wie man einen Verlag betreibt, waren die Kramers mit ihrem Verlag unsere erste Anlaufstelle, um das nötige Wissen für die Gründung und den Betrieb des Verlages zu bekommen. Damals und auch später haben uns Karin und Bernd immer wieder viele hilfreiche Tipps gegeben, die uns die Gründung und den fortlaufenden Betrieb des Libertad Verlages erleichtert haben. Während uns Karin vor allem das verlagskaufmännische Grundwissen vermittelt und uns Empfehlungen für den Vertrieb gegeben hat, haben wir von Bernd das verlegerische know-how für die Bereiche Lektorat und Redaktion sowie zur Buchherstellung bekommen.

In den folgenden Jahren habe ich die Kramers dann vor allem auf Veranstaltungen des Berliner Libertären Forums und auf der Frankfurter Buchmesse bzw. der Gegenbuchmesse gesehen. Im Rahmen der Gegenbuchmessen, von denen ich zwei miterlebt habe, haben sich die damaligen deutschsprachigen anarchistischen Verlage (als da waren: der Karin Kramer Verlag, der Verlag Freie Gesellschaft, Libertad Verlag, Impuls Verlag und Verlag Büchse der Pandora) getroffen, um über Möglichkeiten zur Kooperation zu reden. Dabei ist nicht viel mehr rausgekommen als ein Gemeinschaftskatalog der anarchistischen Verlage, der im Herbst 1977 erschienen ist. Aber es waren gute Gespräche, die wir geführt haben, Gespräche, die vom Geist der Solidarität getragen waren.

Ende der 1970er Jahre hatte ich in der Volkshochschule Charlottenburg mein Abi nachgeholt und habe in dieser Zeit und auch in meinem späteren Studium an der Freien Universität Berlin die Publikationen des Karin Kramer Verlages sehr geschätzt. Die persönlichen Begegnungen mit den Kramers wurden seltener, waren aber immer herzlich. Gelegentlich bin ich Karin oder Bernd auf der Alten Post in der Karl-Marx-Straße begegnet, wenn sie und ich die Büchersendungen unserer Verlage in den Versand brachten und wir unsere Postfächer leerten. 1988 war unser gemeinsamer Freund Fritz Scherer im Alter von 86 Jahren gestorben. Fritz, der zu den wenigen deutschen Anarchisten gehörte, die das Dritte Reich überlebt hatten, hatte ebenfalls in Neukölln gelebt und sowohl den Karin Kramer Verlag als auch den Libertad Verlag nach Kräften unterstützt. Seine Beerdigung war die erste anarchistische Beerdigung, die ich miterlebt hatte, und einige der Trauergäste von damals habe ich nun auch bei der Beerdigung von Karin Kramer wiedergesehen.

Ich bin 1996 von Neukölln nach Potsdam gezogen und war in dieser Zeit beruflich in der Internetbranche aktiv. Um den Libertad Verlag konnte ich mich in dieser Zeit kaum noch kümmern, und da ich aus beruflichen Gründen für einige Zeit erst in Düsseldorf und danach in Den Haag lebte, wurden die Begegnungen mit den Kramers noch seltener. Wir haben uns in diesen Jahren ein, zwei Mal auf der Buchmesse und auf Veranstaltungen getroffen. 2006 war unser gemeinsamer Freund Arno Giegerich gestorben, mit dem ich Ende der 1970er Jahre an der Volkshochschule Charlottenburg das Abi nachgeholt und in der Zeit der "Häuserkämpfe" in den Nächten manche fantasievolle illegale Aktion durchgeführt hatte. Arno, der an einer seltenen genetisch bedingten Krankheit gestorben war und den Tod langsam hatte auf sich zukommen sehen, hatte für seine Freundinnen und Freunde eine grandiose "Abschiedsparty" ausrichten lassen, die in den Räumlichkeiten der von ihm mit aufgebauten Metallbaufirma Zyklus in Berlin-Kreuzberg stattfand. Und da, an diesem warmen Sommerabend im Juni 2006, saßen wir uns auf Arnos letzter Fete an einem Biertisch gegenüber, die beiden Kramers und ich, und schauten uns nachdenklich an und dachten unausgesprochen das Gleiche: Die nächste Abschiedsfete könnte unsere eigene sein. Für unsere Generation war die Zeit des Abschiednehmens gekommen. Das war uns klar. Und in der Tat ist seitdem kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht gute Freundinnen und Freunde von uns gegangen sind.

Noch ein Treffen mit den beiden Kramers ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben, bei dem mir Karins besonnene und kluge Haltung imponiert hat. Im Frühjahr 2006 hatte die Münchner Ortsgruppe der FAU-IAA von dem im Libertad Verlag erschienenen Buch "Freiheit und Brot" eine Raubveröffentlichung herausgebracht, gegen die sich Hartmut Rübner, der Autor des Buches, sowie ich für den Verlag, unter Androhung juristischer Konsequenzen mit einer privaten Unterlassungserklärung, zur Wehr gesetzt hatten. Das wiederum führte zu einem extrem eskalierenden Konflikt mit den Betreibern des Internetportals Anarchopedia, die sich im Konflikt zwischen der FAU-IAA und dem Libertad Verlag auf die Seite der Raubdrucker geschlagen hatten. Nicht nur der Libertad Verlag und der Autor des Buches wurde fortan von den Anarchopeden auf das Gehässigste bekämpft, sondern auch alle, die sich in dem Konflikt mit dem Libertad Verlag solidarisiert hatten. Der Konflikt, der von Seiten der Anarchopeden anonym geführt wurde, gipfelte schließlich in einer Generalattacke gegen die älteren anarchistischen Verlage, darunter neben dem Libertad Verlag auch der Karin Kramer Verlag, der OPPO Verlag sowie die Zeitschrift Espero. Diese wurden einer anarchokapitalistischen Verschwörung gegen die libertäre Bewegung beschuldigt. Die Verschwörung, der man den griffigen Namen "Schwarze Spinne" gegeben hatte, stand (so der O-Ton auf der Anarchopedia) "für das geheime Netzwerk derjenigen Personen, die die anarchistische Bewegung als Verleger (Libertad Verlag, Kramer Verlag, OPPO-Verlag) ökonomisch ausbeuten und sie politisch mit ihren antisemitischen, chauvinistischen und nationalistischen Ideen zu indoktrinieren versuchen." Das war starker Tobak, aber irgendwie noch witzig.

Da jedoch die Angriffe der Anarchopeden gegen die Personen, die der Verschwörung der "Schwarzen Spinne" zugerechnet wurden, immer widerwärtiger wurden (dem einen wurden antisemitische Entgleisungen vorgeworfen, ein anderer wurde beschuldigt ein Kinderschänder zu sein und gegen mich wurde sogar ein Mordaufruf lanciert), haben wir uns getroffen, um zu beraten, wie wir uns am besten gegen diese infame Kampagne zur Wehr setzen könnten. Das Treffen der Berliner Ortsgruppe der "Schwarzen Spinne" fand in der Wohnung der Kramers in Neukölln statt, und an ihm nahmen teil: Karin und Bernd Kramer, Rolf Raasch für den OPPO-Verlag, Jochen Knoblauch für die Zeitschrift "Espero" und ich für den Libertad Verlag. Von der Anarchopeden-Kampagne, die vor allem im Internet ausgetragen wurde, hatten die Kramers bisher nur am Rande erfahren. Wir tauschten unsere Erfahrungen aus und diskutierten hin und her, wie wir uns am besten gegen die Angriffe der Anarchopeden zur Wehr setzen könnten. Karin hörte sich die Diskussion ruhig an und als sich unsere Argumente für und wider die unterschiedlichen Vorschläge zur Reaktion erschöpft hatten, lautete ihr Vorschlag: "Am besten ist es, überhaupt nicht darauf zu reagieren! Denn solange wir noch auf die reagieren, geben wir dem Affen weiter Zucker!" Ihr Argument war einleuchtend, und wir haben uns dann auch darauf geeinigt. Nachdem der Autor und ich für den Libertad Verlag auf der Anarchopedia noch ein letztes Statement in der Sache abgegeben hatten, verlief sich die irrsinnige Anarchopeden-Kampagne, wie von Karin vorausgesagt, allmählich im Sande.

In den letzten Jahren habe ich dann wieder häufiger Kontakt mit den Kramers gehabt, vor allem mit Karin. Zum einen habe ich gelegentlich Neuerscheinungen ihres Verlages als Buchempfehlung im DadAWeb- Internetportal vorgestellt und mir von Karin Informationen zu den Büchern und ihren Autorinnen und Autoren geben lassen. Zum anderen habe ich auch immer wieder die Bücher des Karin Kramer Verlages, auch die älteren Titel, direkt beim Verlag für das Sortiment des 2009 von mir gegründeten aLibro Buchversands gekauft. Bei meinen Besuchen bei den Kramers war nicht zu übersehen, dass es ihnen mit ihrem Verlag ökonomisch nicht sonderlich gut ging. Aber ich habe nie das Gefühl gehabt, dass sie über ihr Leben oder ihr Alter verbittert waren. Immer wieder im Frühling haben wir ausgemacht, dass wir dieses Jahr nun endlich mal gemeinsam zum Baumblütenfest in Werder an der Havel fahren. Und jedes Jahr kam immer wieder etwas dazwischen.


III.

Diese Begegnungen und Erlebnisse mit Karin kommen mir in den Sinn, während Dr. Seltsam in seiner Trauerrede das Leben und Wirken von Karin Kramer skizziert. Nachdem er seine Gedenkrede auf Karin beendet hat, ergreift Bernd Kramer kurz das Wort und dankt mit leiser Stimme den Trauergästen für ihr Kommen. Jemand hat eine Spendenbüchse organisiert, mit der für den Karin Kramer Verlag gesammelt wird, der ohne Karin schweren Zeiten entgegengeht. Die Türen der Trauerkapelle öffnen sich, und die Trauernden folgen dem Sarg hinaus auf den Friedhof ans Grab.

Die zahlreichen Trauergäste haben sich in kleinen Gruppen um Karins Grab versammelt, hinter dem zwei Birken aufragen. Ich stehe in einer Gruppe zusammen mit Ralf Landmesser, Jochen Knoblauch, Hartmut Rübner und Bernd Drücke. Auch am Grab ergreift Dr. Seltsam das Wort und versucht Trost zu spenden. Ich stehe zu weit entfernt, um alles zu verstehen. Mich erreichen Worte wie "Schmetterling", und "Raupe". Aber ich will auch nichts mehr hören. Ich sehe Bernd Kramer, eingerahmt von Freunden und Verwandten, wie er niedergeschlagen in das offene Grab blickt, und auch mich versteinert in diesem Moment die Trauer.

Ich überwinde mich, trete an das Grab und werfe Karin als letzten Gruß drei Handvoll Erde und die mitgebrachte weiße Rose auf den Sarg. Ich möchte "Lebe wohl!" sagen, aber es ist ein Abschied für immer, ein Abschied vom Leben, für den ich keine Worte habe.

Karin Kramer ist tot, und mit ihr geht ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des deutschsprachigen Anarchismus zu Ende. Es ist ihr Verdienst und des nach ihr benannten Verlages, dass das libertäre Denken hierzulande nach Faschismus und Krieg wieder neu belebt wurde und inzwischen feste Wurzeln in der Kultur unserer Gesellschaft geschlagen hat. Aus der Anarchie kommen wir und der Anarchie gehen wir entgegen. Und das dem so ist, dieses Wissen verdanken wir nicht zuletzt Karin Kramer und den Büchern, die in ihrem Verlag erschienen sind. Es ist ein Wissen, das Hoffnung macht.

Nach der Beerdigung findet in einer gegenüber dem Friedhof liegenden Eckkneipe, der Thomas-Klause, ein Umtrunk statt. Die Kneipe ist noch eine der typischen Neuköllner Eckkneipen, von denen es inzwischen nicht mehr viele gibt. Ein größerer Tross der Trauergäste folgt Bernd Kramer in den halbdunklen Hinterraum der Kneipe und nimmt dort an zwei, drei größeren Tischen Platz. Mir ist es dort zu verqualmt, und ich setze mich mit der Gruppe, die sich bereits an Karins Grab zusammengefunden hatte, an einen der kleinen Tische, die draußen vor der Kneipe auf dem Bürgersteig aufgestellt wurden. Wir sitzen im Sonnenschein, trinken Bier oder Kaffee und essen Falafel, den wir uns vom libanesischen Imbiss gegenüber geholt haben. Wir reden über unsere Erlebnisse mit Karin und Bernd und tauschen uns über unsere aktuellen Projekte und Zukunftspläne aus, und wir reden über den Tod. Am Nebentisch sitzen Freundinnen von Karin, die Fotos von ihr herumreichen. Und plötzlich hat jeder eine Kamera oder ein Smartphone in der Hand und fängt an Fotos von den anderen zu machen. Wer weiß. Es könnte ja das letzte Foto sein, das man voneinander hat. Aber immerhin: Jeder fotografiert den anderen. Niemand kommt auf die Idee ein Selfie zu machen. Das finde ich in dem Moment irgendwie tröstlich.

Jochen Schmück
Aus: "Erkenntnis", Nr. 22, Wien 2014 (erscheint dieser Tage)


"Es kommt auf die Bedürfnisse an". Von Bernd Drücke

Karin Kramer, am 9. November 1939 in Berlin geboren und dort gestorben am 20. März 2014. Ein Nachruf auf die Verlegerin, Redakteurin und einflussreichste Anarchistin im deutschsprachigen Raum

"Gestern hat mich die BZ-Redaktion angerufen. Sie wollten ein Foto von Karin haben, für einen Nachruf. Die BZ?! Also: Springerpresse! Wir waren immer schon gegen Springer. Nein, natürlich habe ich denen kein Foto gegeben." Das erzählte Bernd Kramer am 3. April 2014 vor rund 100 Trauernden während der bewegenden Beerdigung seiner großen Liebe auf dem Neuen Luisen Kirchhof in Berlin-Neukölln.

Was den BZ-Redakteur verblüfft haben mag, das ist für Bernd und war für Karin Kramer immer selbstverständlich: BZ, BILD und Co. stehen auf der anderen Seite der Barrikade.

Springer steht für Volksverhetzung, Deutschtümelei, Rassismus, Terroristenhysterie, nach oben buckeln, nach unten treten, übelste Hetze gegen alles, was anders, links, antimilitaristisch, anarchistisch, antirassistisch, emanzipatorisch ist. Springer, das ist Kalter Krieg und Muff von tausend Jahren.

Cover der von Karin und Bernd Kramer und anderen Mitgliedern der Berliner Linkeck-Kommune 1968 herausgegebenen liksradikalen Untergrundzeitschrift "linkeck"

Karin Kramer: "Enteignet Springer!"

Mit der "größte[n] Zeitung Berlins" (BZ-Untertitel) hatten sich Bernd und Karin Kramer schon angelegt, als dieses Boulevardblatt noch intensiv für den Vietnamkrieg und gegen "langhaarige, verdreckte Vietcong-Anhänger, die da öffentlich Geschlechtsverkehr treiben"[1] hetzte. Ende 1967 waren Karin und Bernd Gründungsmitglieder einer anarchistischen Kommune in West-Berlin. Am 29. Februar 1968 hatten sie zusammen mit den anderen KommunardInnen die erste Ausgabe eines bahnbrechenden Organs der Gegenkultur herausgebracht. Bernd: "Wir wollten, wir mussten eine Zeitung machen, mit einer Zeitung beginnt alle politische Arbeit. Wie sollte unser Blatt nun heißen? Wir hechelten verschiedene radikale Namen durch, bis einer von uns ein Rechteck zeichnete. Da sollte der Name rein. Aber dann die Erleuchtung: Wenn es ein Rechteck gibt, dann muss es auch ein linkeck geben."[2]


Der Beschlagnahmebeschluss gegen linkeck wegen "Verstoß gegen das Warenzeichengesetz" und "Verdacht auf Verbreitung unzüchtiger Schriften" ließ nicht lange auf sich warten.

"Hatten wir angenommen, linkeck Nr. 1 würde wegen der Titelseite ‚Vergast die Kommune' beschlagnahmt (das war immerhin eine Aufforderung zum Mord), ging es stattdessen um zwei Buchstaben - ‚BZ' - und ein nacktes Gesäß", so die ehemaligen linkeck-KommunardInnen.[3] Das "Dreigeteilt - niemals" war eine Ironisierung eines revanchistischen CDU-Plakates, das die BRD, die DDR (SBZ) und die ehemaligen deutschen Ostgebiete in Polen und Russland als politische Einheit darstellte. Das ironisch gemeinte "Vergast die Kommune" war ein Spruch, der linken KommunardInnen damals ständig von alten Nazis ins Gesicht gebrüllt wurde.

So ging es weiter. linkeck Nr. 2 wurde wegen Beleidigung und Abbildung von "Obszönitäten" beschlagnahmt, Nr. 3 wegen Abbildung eines verbotenen NS-Emblems und "Aufruf zu Gewalt". "Nummer 3a fiel der Zensur zum Opfer, weil wir über die SS-Vergangenheit des Polizeikommandeurs von Berlin berichtet hatten. Nummer 4* wurde konfisziert, da wir über den erzreaktionären CDU-Abgeordneten Wohlrabe berichtet hatten (…), außerdem fühlte sich ein Springerkarikaturist beleidigt."

Auch linkeck Nr. 5 und 6 wurden mit ähnlichen Begründungen kriminalisiert. Schnell wurde das Szeneblatt bundesweit berühmt-berüchtigt, und die überregional verbreitete Auflage stieg von 4.000 auf 6.000, nicht zuletzt dank der Hetze gegen linkeck in den Revolverblättern des Springerkonzerns.

linkeck sorgte für Aufsehen, mit antiklerikalen, staats- und SDS-feindlichen Collagen und Cartoons, zum Teil pornographischen Fotos, die als Provokation und Protestmittel für die sexuelle Befreiung, gegen die repressive (Kirchen-Staats-)Moral und unter dem Motto "Enteignet den hygienischen Sex!" als Reaktion auf die Konkret-Nackt-Titelseiten gemeint war. Als neoanarchistisches Blatt setzte sich linkeck zudem mit sozialrevolutionären, undogmatischen, oft satirischen, ironisch-sarkastischen Texten sowohl von den marxistisch geprägten Organen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) der damaligen Zeit als auch von den in kleiner Auflage publizierten Blättern der Alt-Anarchisten ab.

Vergleichbares hatte es zuvor nur in den USA gegeben[4]

Das dadaistisch inspirierte Schnibbellayout und der schrille, provokative Stil von linkeck waren 1968 hierzulande ein Novum und für viele danach herausgekommene Anarchoblätter im deutschsprachigen Raum eine Inspirationsquelle. Vor linkeck publizierte anarchistische Zeitschriften waren eher als seriöse Bleiwüste aufgemacht.

Das gilt auch für die von 1965 bis 1966 dreizehnmal erschienene Direkte Aktion - Blätter für Gewaltfreiheit und Anarchismus aus Hannover.[5] Karin kannte diese Vorläuferzeitung der 1972 gegründeten Graswurzelrevolution, empfand sie 1968 aber als "zu brav".

Karin und ihre Mit-RedakteurInnen wurden zwar auch durch die kleinen Zeitungen der Alt-AnarchistInnen inspiriert. Mit linkeck betraten sie aber Neuland und leiteten einen publizistischen, neo-anarchistischen Paradigmenwechsel im deutschsprachigen Raum ein.

Karin äußerte sich dazu in einem Interview, das ich mit ihr und ihrem Liebsten im September 2005 zum 35. Geburtstag des Karin Kramer Verlags (KKV) für die Graswurzelrevolution geführt habe: "Ja, das war das Schöne, viele Zeitungen und Zeitschriften kopierten linkeck; so auch eine Schüler-Zeitung aus Berlin-Spandau: Radikalinski. Einen riesigen Wirbel verursachten damit die Schüler, weil sie u.a. ihren Direktor, mit Wohnanschrift, sehr robust angriffen."

Bevor die "underground zeitung linkeck" 1969, nach Erscheinen der Nr. 9, eingestellt wurde und sich die gleichnamige Kommune auflöste, wurden Karin, Bernd und zwei weitere linkeck-MitarbeiterInnen wegen "Beleidigung" und "Verbreitung unzüchtiger Schriften" verurteilt und "mussten die Staatskasse füttern".

Karin: "Um den Überblick über die diversen Verfahren und Strafgeldzahlungen nicht zu verlieren, wurden Listen angelegt; die Geldstrafen (bisweilen 800 DM) stotterten wir, schon allein um die Staatsdiener zu ärgern, in 5-, mal in 10-Mark-Raten ab. Der uns aufgedrängte, überdurchschnittlich emsige Schriftverkehr mit Polizei- und Gerichtsbehörden hatte eine grandiose ‚Erfindung' zur Folge. Alle Brieftexte unserseits an diese Dienststellen schrieben wir so eng an den linken Rand, dass ein normales Lochen geschweige denn ordentliches Abheften in die staatlichen Aktenordner unmöglich war. Die Kommune 1 hat unsere ‚Erfindung' freudig übernommen."[6]

Als die Wohngemeinschaften, Lebens- und Arbeitszusammenhänge, die linkeck hervor gebracht hatten, in die Brüche gingen, war auch das Ende der Zeitung gekommen.

Karin und Bernd hatten sich in der Kommune heftig ineinander verliebt. Sie wollten auch nach dem Ende von linkeck weiter gemeinsam leben und arbeiten, nicht in der kapitalistischen Ausbeutermühle, sondern selbstbestimmt und anarchistisch. Verlegerische Erfahrung hatten sie schon in den späten 1960er Jahren mit dem Raubdruckprojekt "Underground Press L" (das L stand für linkeck) gemacht. Was lag also näher, als 1970 den Karin Kramer Verlag zu gründen? So entstand der erste Verlag Berlins, der nach einer Frau benannt ist.

Von nun an verlegten Karin und Bernd Jahr für Jahr unzählige Bücher zum Anarchismus, zur Anarchie und zu Utopien. Libertäre Spuren fanden sie in der Philosophie, Ethnologie, im Surrealismus, in Politik, Literatur und Kunst. Bald kam ihr Sohn Daniel auf die Welt. Karin organisierte in den 70ern für ihn einen antiautoritären Kinderladen und bemühte sich darum, dass ihr Sohn und später auch ihre beiden Enkelkinder Ben und Daan im "falschen Leben" soviel Freiheit und Liebe wie möglich bekommen konnten. Sie war eine liebevolle Mutter und begeisterte Großmutter.

Ein anderes "Kind" von Karin und Bernd war der KKV, in den beide soviel Liebe und Kraft steckten, dass er in den 1970er und 1980er Jahren zum einflussreichsten anarchistischen Verlag im deutschsprachigen Raum wurde.

Quellen der Inspiration

Gab es Schlüsselerlebnisse und Inspirationsquellen, die dazu beigetragen haben, dass Karin sich selbst auf die anarchistische Reise begeben hat?

Karin: "Das hat sich so ergeben, aus der eigenen sozialen Entwicklung, den Zeitumständen und der Beschäftigung mit Schriften, z.B. von B. Traven, Jack London, Tucholsky. Zu Jack London fällt mir ein: Meine Mutter ging mit mir und meiner Schwester einmal in der Woche in eine Neuköllner Leihbibliothek. Dort ‚entdeckte' ich Jack Londons zweibändiges Werk ‚Martin Eden'. Die Beschreibung des sozialen Elends, die Darstellung, wie Martin Eden, fast ein Analphabet, mit Hilfe einer gebildeten Frau (wo und wie sie sich kennen und lieben lernten, habe ich vergessen) langsam einer Welt zugeführt wird, die ihm bis dahin verschlossen war, was ihn aus seiner fatalistischen, gottgegebenen miesen Lebenssituation herausholt, nach und nach zum rebellischen Denken und Handeln treibt, das faszinierte mich ungeheuerlich.

Raus aus dem Proleten-Ghetto. Lange verband die Liebe beide nicht, die Klassenunterschiede waren dann doch zu groß. Manches treibt einen zum Nonkonformismus. In unserer Familie gab es übrigens ein ganz frühes Berufsverbot. Mein Großvater, der in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, muss man heute wohl sagen, illegal SPD-Flugblätter in Hausbriefkästen verteilte, wurde denunziert und verlor seine Arbeit als Gärtner bei der Stadt Berlin. Inspirationsquellen? Da floss vieles zusammen. Wir hatten Kontakte mit den Leuten von den ‚Situationisten' in Frankreich, mit den ‚Umherschweifenden Haschrebellen' in Berlin, Georg von Rauch, Tommy Weißbecker, Bodo Saggel, Günter Langer, Shorty usw."[7]

Die Werke von Emma Goldman, Michail Bakunin, Louise Michel, Pjotr Kropotkin, Erich Mühsam, Errico Malatesta, Rudolf Rocker, Peter Paul Zahl und anderen anarchistischen (Neo-)KlassikerInnen, "Was ist eigentlich Anarchie?", die Reprints von "Unter der schwarzen Fahne" von Justus F. Wittkop und Horst Stowassers "Leben ohne Chef und Staat", sowie viele weitere Bücher des Karin Kramer Verlags haben mein Leben ab Anfang der 1980er Jahre entscheidend mitgeprägt und sind sicher nach wie vor geeignet, Menschen von der anarchistischen Idee zu begeistern. Auflagen bis zu 20.000 erreichten nur die wenigen Bestseller des KKV: "Das Sechste und Siebente Buch Mosis, sein wahrer Wert und was das Volk darin sucht" und Jim Morrisons "Amerikanisches Gebet".

Begegnungen mit einer wundervoll herzlichen Sozialrevolutionärin

Die letzte noch zu Lebzeiten Karins veröffentlichte Buchpublikation im Karin Kramer Verlag: "Anarchismus Hoch 2"

Persönlich habe ich Karin erst Ende der 1980er Jahre kennengelernt. Als Mitbetreiber des Münsteraner Umweltzentrums und ab 1992 des Infoladen Bankrott habe ich Bücher und die pechrabenschwarzen Anarcho-Kalender bei Karin bestellt, die wir dann vor allem auf Büchertischen, bei Demos und Veranstaltungen unter die Leute gebracht haben. Einen Austausch hatte ich mit ihr ab 1993 im Zusammenhang mit meiner Doktorarbeit über anarchistische Presse. Als ehemalige Redakteurin der ersten neo-anarchistischen Zeitschrift in Deutschland war sie ja schon zu Lebzeiten eine Person der Zeitgeschichte und wichtige Zeitzeugin nicht nur für Anarchismusforscher.[8] Unsere Begegnungen auf Buchmessen und unsere meist gut gelaunten und anregenden Telefongespräche, die es verstärkt gab, nachdem ich ab November 1998 meine Stelle als Koordinationsredakteur der Graswurzelrevolution antrat, werde ich nie vergessen.

Anfang 2006 schickte ich mein "ja! Anarchismus"-Buchmanuskript an Karin und Bernd, mit der Bitte das darin enthaltene KKV-Interview um weitere Antworten zu ergänzen. Meine in diesem Sammelband enthaltenen Interviews mit zwei Dutzend AnarchistInnen stießen bei Karin und Bernd auf Begeisterung. Interesse an dem Buch hatten zuvor schon der Trotzdem-Verlag, Edition AV und der Graswurzelrevolution-Buchverlag bekundet. Aber Karin und Bernd waren wild entschlossen, das Buch zu verlegen. Bernd schickte mir (und schickt mir bis heute) charmante, auf Schreibmaschine geschriebene Briefe, Postkarten und den Prachtband "Bakunin - ein Denkmal". Er rief mehrmals an und machte mir ein faires Angebot. Es erzeugte ein Glücksgefühl, nun von dem Verlag publiziert zu werden, in dem auch die "Idole" meiner Jugend und wegweisende Bücher meiner eigenen anarchistischen Politisierung verlegt wurden.

Der "ja! Anarchismus"-Band wurde in der marxistischen jungen Welt verrissen, aber in der taz, dem ND und vielen Alternativmedien positiv besprochen. Er verkaufte sich gut. Bis die erste Auflage vergriffen war, überwies mir Karin fortan jeweils zum Jahresanfang einen Anteil des Verkaufserlöses und schickte eine Bilanz.

Im Oktober 2014 soll eine überarbeitete "ja! Anarchismus"-Neuauflage erscheinen. Ich hoffe, dass das klappt und der von mir im Frühjahr 2014 herausgegebene Nachfolge-Interviewband "Anarchismus Hoch 2" nicht das letzte Buch des Karin Kramer Verlags sein wird.

Karin hat Geschichte von unten gemacht

Karin ist als Anarchistin jung geblieben und hat mit ihrem Leben bewiesen, dass der Anarchismus mehr als nur eine kurze Lebensphase sein kann. Sie hat Geschichte von unten geschrieben und uns gezeigt, dass ein unangepasstes, weitgehend selbstbestimmtes und glückliches Leben als Anarchistin und Verlegerin möglich und erstrebenswert ist. Ihre Beharrlichkeit bleibt vorbildlich und war schon zu Lebzeiten legendär. Als begnadete Verlegerin hielt sie den Laden zusammen und bewältigte mit Bernd alle Höhen und Tiefen der KKV-Geschichte. Dabei war sie, so die taz, "stets eine ‚Linksabweichlerin' - wie es so schön im kommunistischen Jargon heißt -, und das aus Prinzip"[9].

Karin starb am 20. März nach langer Krankheit im St.-Hedwigs-Krankenhaus Berlin an Krebs

Ihr Tod macht mich traurig. Karin war eine starke Frau, eine gute Freundin und Genossin. Sie war die "bedeutendste linke Verlegerin Westberlins", wie auch das nicht-anarchistische Internetprojekt scharf-links.de anerkennt. Karins Lebensleistung, nicht nur als einflussreichste anarchistische Verlegerin, ist großartig und bleibt unvergessen. Sie war eine subversive Frohnatur mit großem Herzen und Sinn für schwarz-roten Humor. Reich war sie an Erfahrungen und Glück. In finanzieller Hinsicht ist sie dagegen nie reich geworden. Auf meine Frage, ob Karin und ihr Liebster von ihrer Verlagsarbeit leben können, antwortete sie: "Es kommt auf die Bedürfnisse an."

Die drei anarchistischen Liebespaare und "Linksabweichler" Hanna Mittelstädt und Lutz Schulenburg (Edition Nautilus) aus Hamburg, Wolfgang Zucht und Helga Weber (Weber, Zucht & Co.) aus Kassel und Bernd und Karin Kramer hatten (und haben) durch ihre kontinuierliche Verlagsarbeit seit 1968 eine große Wirkung auf die Entwicklung der Undogmatischen Linken im deutschsprachigen Raum.

Als vor knapp einem Jahr unser Genosse Lutz Schulenburg in Hamburg gestorben ist, hatten viele die Befürchtung, dass die von Hanna Mittelstädt und ihm vor 40 Jahren in Hamburg gegründete Edition Nautilus untergehen könnte. Auch Karin. Heute sorgt die Nautilus-Crew um Hanna und die ehemalige Nautilus-Praktikantin Katharina Picandet dafür, dass es ganz in Lutz' Sinne - generationsübergreifend - weitergeht.[10] In Karins Sinne wäre es sicher, wenn Ähnliches auch in Berlin gelingen könnte. Es wäre wunderbar, wenn der Karin Kramer Verlag nach dem Tod der Namensgeberin weiter existieren und dazu beitragen könnte, dass eines Tages ein gutes Leben ohne Chef und Staat für alle Menschen Realität wird.

Am 16. April 2014 schrieb mir Bernd Kramer unter anderem: "Ich werde die Verlagsräume aufgeben, 500 Euro im Monat, das ist nicht zu bewältigen; ich werde den Verlag in der Wohnung weiter machen - ich hoffe, daß ich das schaffe…"

Vielleicht finden sich verlagserfahrene GenossInnen in Berlin, die unseren mittlerweile 74jährigen Genossen Bernd Kramer unterstützen und gemeinsam mit ihm aus dem KKV ein generationsübergreifendes Projekt machen.

Karin bleibt unvergessen. Lang lebe der Karin Kramer Verlag! Lang lebe die Anarchie!

Bernd Drücke, Münster

Quelle: graswurzelrevolution, Nr. 389 (Mai 2014).

Anmerkungen

  1. 1 Zitat von CSU-Politiker Franz-Josef Strauß 1967 über linke StudentInnen. Vgl.: Klaus Staeck (Hg.), Einschlägige Worte des Kandidaten Strauß, Steidl Verlag, Göttingen 1980, S. 116
  2. 2 "Das A im strahlenden Kreis". Von linkeck zu Bakunin - 35 Jahre Karin Kramer Verlag. Ein Interview mit Karin und Bernd Kramer, in: B. Drücke (Hg.), "ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, S. 93 - 103
  3. 3 Dreigeteilt - niemals, in: linkeck, Reprint, Karin Kramer Verlag, Berlin 1987, ohne Paginierung (S. 5)
  4. 4 Vgl. Jean-Francois Bizot, Free Press. Underground & Alternative Publications 1965 - 1975, universe, New York 2006
  5. 5 Vorläuferzeitung der 1972 gegründeten GWR, vgl.: B. Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre in Ost- und Westdeutschland, Ulm 1998
  6. 6 "Das A im strahlenden Kreis", a.a.O.
  7. 7 Ebd.
  8. 8 Bis zum 6. April 2014 wurde im Willy-Brandt-Haus Berlin die Ausstellung "Die Frauen der APO - die weibliche Seite von 68. Porträts von Ruth E. Westerwelle" gezeigt, in der auch ein Porträt von Karin Kramer zu sehen war.
  9. 9 Jörg Sundermeier: Nachruf Karin Kramer. Neugierig geblieben, in: taz, Berlin, 25.03.2014, www.taz.de/!135526/
  10. 10 Voraussichtlich in GWR 390 erscheint ein Interview mit Hanna Mittelstädt und Katharina Picandet zum 40. Geburtstag der Edition Nautilus


"Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben". Nachruf von Karsten Krampitz

Karin Kramer (links) auf der Buchmesse in Frankfurt am Main 2007. (c) Ralf Landmesser, Berlin

Buchmesse im Frühjahr 2000: Die Veranstalter hatten die Lesezeiten verlost, im Programm stand für diesen Tag und diesen Raum: "10 Uhr bis 10.30 Uhr Karsten Krampitz, Affentöter'". Das Problem: Die Hallen öffneten erst um zehn. Und: Ich hatte auch gar kein Buch, der Roman über den Papierkrieg der Berliner Obdachlosenblätter war noch nicht gebunden; ich wollte aus den Fahnen lesen. Ja, nicht einmal meine Verlegerin war zugegen. In Leipzig hatte der Karin-Kramer-Verlag nie einen eigenen Stand, immer nur in Frankfurt am Main. Eine viertel Stunde, nicht länger, harrte ich der Leute, saß im Publikumsbereich und schaute auf die offene Tür. "Ist der Autor schon da?", fragte jemand im Türrahmen. "Nee", sagte ich.

In der Woche darauf habe ich meiner Verlegerin Karin Kramer berichtet, was für eine wunderbare Lesung ich doch hatte, mit zwanzig Leuten, mindestens! Und dass sogar eine Frau vom Radio dagewesen wäre und dass die Leute noch diskutieren wollten, aber wir hatten ja keine Zeit. "So, so", sagte Karin, hob die Augenbrauen und wiederholte mit sonorer Stimme: "So, so." - Sie wusste es besser. Die Kollegen von der Auslieferung hatten ihr längst alles erzählt. (Die Sozialistische Verlagsauslieferung, die Sova, hat in Leipzig immer einen Sammelstand, wo u.a. auch ihr Frühjahrsprogramm vorgestellt wurde.) Nach so vielen Jahren weiß ich natürlich nicht mehr, worüber Karin und ich noch geredet haben, an dem Tag in ihrem Büro in Neukölln. Vielleicht über die zweite Buchpremiere im Kaffee Burger. Aber ich weiß noch, dass der Raum der vielen Regale wegen so wunderbar nach Büchern roch. Und ganz ehrlich: Ich bin nie wieder so glücklich gewesen.

Am 20. März ist Karin Kramer gestorben. Im Berliner St. Hedwigs-Krankenhaus erlag sie im Alter von 74 Jahren einer schweren Krebserkrankung. Sie war ein ganz wunderbarer Mensch, sehr warmherzig, eine kluge Frau. Und was immer ich hier über sie schreibe, es wird ihrem Leben nicht gerecht. "Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben", heißt es in einem Gedicht von Mascha Kaléko. Weihnachten haben wir noch telefoniert, über neue Projekte geredet.

Der kleine Verlag, den sie mit Bernd Kramer, ihrem Ehemann, betrieb, stand in den 1970er und 1980er Jahren wie kein anderer für das libertäre Erbe der 68er Bewegung, für die Utopie jenseits von Staatsozialismus oder Sozialdemokratie. Ein Gründungsdatum ist nicht belegt. Angefangen hat alles mit "Linkeck", einem recht bizarren Periodikum, benannt nach der gleichnamigen WG, das zwischen 1968 und 1970 in einer Stückzahl von mehreren Tausend Exemplaren erschien und immer wieder von der Polizei beschlagnahmt wurde. Für Bernd Drücke von der "Graswurzelrevolution" war "Linkeck" hierzulande die erste antiautoritäre Zeitschrift überhaupt. Ein neoanarchistisches Blatt mit blasphemischen Comics, jeder Menge Pornos und Pamphleten gegen die "Einheitsfrontscheiße" des SDS. Und wie bis heute kolportiert wird, soll sich im selben Zeitraum und in derselben Wohngemeinschaft in der Bülowstraße irgendwer ein Zubrot verdient haben mit dem Verkauf von Raubdrucken. Erst 1970 wurde das Gewerbe offiziell angemeldet.

Im Verlagsprogramm fanden sich anarchistische Klassiker von Bakunin, Kropotkin, Landauer und Mühsam. Emma Goldman wurde gedruckt, ebenso Beiträge zur Auseinandersetzung mit Max Stirner. Auf die kritiklose Hingabe weiter Teile der Linken zu irgendwelchen Paradiesstaaten antwortete die Verlegerin mit Monografien zur russischen Revolution, zur autoritären Diktatur des Fidel Castro und selbstredend über die Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg. Mit "Ein amerikanisches Gebet" von Jim Morrison gelang sogar ein veritabler Bestseller; über 20.000 verkaufte Exemplare!

Jahr für Jahr wurden mindestens acht Bücher publiziert. Bei rund 340 Titeln und einer 1000er Auflage hat Karin Kramer bis heute also einige Hunderttausend libertäre Schmöker unter die Leute gebracht hat. Das wird ihr so schnell keiner nachmachen. Schade eigentlich. Niemand weiß, wie in hundert Jahren die Welt aussieht, in den Bibliotheken aber werden ihre Bücher stehen über ein Leben ohne Herrschaft und die Freiheit der Menschen nicht voneinander, sondern miteinander. Der vielleicht beste belletristische Titel des KKV ging leider völlig unter: Lionel Mareks "Nächstes Jahr in Auschwitz", eine Romansatire zur jüdischen Diaspora. Während sich in Frankreich das Feuilleton mit Hymnen überschlug, die "Libération" von "burleskem Ton" schrieb und "kolossaler Finesse", gab es hierzulande nicht eine Rezension - die Neunziger...

Keine Ahnung, was in dieser Zeit passiert ist, aber irgendetwas muss passiert sein: Die Buchhandelsketten verdrängten immer mehr die kleinen Läden, und irgendwann hörte die Linke einfach auf, Romane und Gedichte zu lesen. Dass ein kleiner anarchistischer Verlag aus Neukölln die letzten zwanzig Jahre überstanden hat, war ein kleines Wunder, an das Anarchisten aber nicht glauben - das zweite Wunder, dass die Verlegerin ihre Krankheit besiegt, blieb aus.

Karsten Krampitz, Berlin


Karin Kramer. Unvergessen. Von Jochen Knoblauch

Am 20. März 2014 starb Karin Kramer nach langem Kampf mit dem Krebs.

Karin war immer die Seele des Verlages, eines Verlages der bereits unter dem Namen "Underground Press" ein Teil meiner politischen Sozialisation war. Und als ich Anfang der 1970er Jahre eine Teestube eröffenen wollte – das war damals modern – schrieb ich auch an den Karin Kramer Verlag, weil ich unbedingt deren Bücher verkaufen wollte, doch ich erhielt einen freundlichen Brief, dass ich mich an den Maulwurf Buchvertrieb wenden müßte. Von hier aus liefen die Kontakte, Freunde, Bekannten usw. für meine nächsten Jahre sternförmig auseinander, bis ich in den frühen 1980er Jahre zurück nach Berlin beim Regenbogen-Buchvertrieb im Kollektiv arbeitete – und Bücher aus dem Karin Kramer Verlag verkaufte. In dieser Zeit fällt auch eine meiner peinlichsten Geschichten: Eine meiner ersten Vertretersitzungen (hier werden die Verlagsprogramme vorgestellt) war beim Kramer Verlag in Neukölln abends, und ich hatte schon einiges an Alkohol getrunken. Prompt schlief ich am Tisch während der Sitzung ein. Vor zwei Wochen, als ich die Geschichte Bernd erzählte lachte er nur. Im Nebenzimmer lag Karin und schlief nach einem anstrengenden Tag.

Da, wo Bernd laut, trinkend, polternd daher kommt, in seiner Art, wie er nun mal ist, da hat Karin immer Ruhe bewahrt. Sie hatte immer ein prinzipielles Interesse an den Menschen, ohne zu tratschen, ohne sich an Gerüchte zu beteiligen.

Von meinen ersten Buchmessen in Frankfurt/M. Anfang der 1980er Jahre, über die Zeit bei Regenbogen sowie die Zeit, als ich selbst dann den AurorA-Buchvertrieb hatte (wo ich zwar keine Kramer-Bücher mehr vertrieb, aber im Buchladen verkaufte) bis zu den Besuchen bei Bernd und Karin im Verlag oder auch bei ihnen zu Hause, so gab es doch eine Lektion, die bei mir hängen geblieben, und mir von Karin erteilt worden ist: Ich übergab Karin einen Text von mir mit den Worten, dass der unbedingt korrekturgelesen werde müsse, da ich ja nur Hauptschüler sei. Daraufhin "stauchte" mich Karin zusammen, dass es egal sei, welchen Schulabschluss jemand habe, es hindere niemanden daran – wenn es einen interessiert – sich eine ordentliche Rechschreibung beizubringen. Das war natürlich mehr als nur auf Rechtschreibung gemünzt, es war die anarchistische Haltung, dass jedeR für sein Tun verantwortlich ist.

Es folgten weitere Gespräche über Bücher, Autoren und Projekte, Treffen auf Veranstaltungen, an Büchertischen, den Linke Buchtagen usw. Es war immer eine Bereicherung. Karin, ich werde Dich vermissen.

Lieber Bernd, die Zeiten werden schwierig. Wenn wir helfen können, dann melde Dich einfach.

knobi, Berlin


Verlegerin und Anarchistin. Von Michael Volk / Bibliothek der Freien

Die Verlegerin Karin Kramer auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des nach ihr benannten Verlages (ca. 1992)

Uns Mitgliedern der Bibliothek der Freien war schon seit längerem bekannt, dass Karin Kramer schwer krank war. Über fast 45 Jahre war Karin die große Macherin des Verlages. Während ihr Mann Bernd oft als Ideengeber wirkte, war Karin Kramer diejenige, die alles zusammenhielt und die immer wieder den Verlag um die harten Klippen des Überlebens navigiert hat. Sie besorgte das Geld, hielt die Finanzen zusammen und hat schweren Zeiten standgehalten, wenn der Verlag fast am Ende war. Dass es den Verlag bis heute gibt, ist ihrem großen Geschick zu danken.

Die große Zeit des Kramer-Verlages sind die 1970er und 80er Jahre gewesen. Viele junge Menschen sind damals durch die Bücher des Verlages mit dem Anarchismus in Berührung gekommen. Viele junge Autoren haben durch den Kramer-Verlag eine Möglichkeit bekommen, ihr erstes Buch zu veröffentlichen und Karin hat vielen Mut gemacht.

Ich habe sie als Jung-Anarcho ungefähr im Jahre 1976 kennengelernt und zwar im ersten Libertären Forum (Eisenbahnstraße in Kreuzberg), in dem alle anarchistischen Gruppen Berlins vertreten waren. Karin war in diesen Jahren eine politisch aktive Verlegerin und Anarchistin, die die Buchproduktion als Teil der politischen Arbeit verstand. Bernd und Karin haben mir und meinen Mitkämpfern gezeigt, wie Flugblätter und Broschüren gemacht werden, wie eine Demo angemeldet wird und wie man mit der Polizei umgeht. Sehr viel habe ich von ihr über den Buchhandel gelernt. Das hat mir Mut gemacht, selbst in Buchläden mitzuarbeiten, der erste hatte den Namen Rhizom, der zweite Buchzeit. In beiden A-Buchläden war immer das komplette Programm des Kramer-Verlages erhältlich. Regelmäßig zur Buchmesse haben wir ein Kramer-Fenster gestaltet und Karin kam immer vorbei, um es zu begutachten.

In den über 20 Jahren der Bibliothek der Freien haben wir immer wieder Bücher des Verlages vorgestellt und standen in regelmäßigem Kontakt. Als sie wusste, dass es schlecht um sie steht, hat sie mit uns gesprochen und wir haben versprochen, die Geschichte des Verlages zu dokumentieren. Wir haben jetzt schon wichtige Verlagsmaterialien in unserem Archiv.

Wir wissen nicht, wie es mit dem Verlag weitergeht. Mit dem Tod von Karin Kramer geht jedenfalls ein wichtiger Abschnitt in der Geschichte des libertären Verlagswesens zu Ende.

Die Bibliothek der Freien erinnert im Rahmen einer Veranstaltung am 16. Mai 2014 an die politisch aktive Verlegerin und Anarchistin, die uns über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden war.

Michael Volk
Bibliothek der Freien, Berlin


Karin und Bernd Kramer (rechts) mit Freunden 1997 auf einer Schiffahrt nach Hiddensee

Eine prägnante Vertreterin der Einmaligkeit eines Menschen. Von Rolf Raasch

Wenn Andere sterben, hat man Gelegenheit, sich Gedanken über die schnell vergangene Zeit zu machen und wie alt man selbst inzwischen geworden ist. Dies ging mir besonders nach dem Tod Karins so: Karin war 74 Jahre alt. Das konnte ich mir bis zum Zeitpunkt ihres Todes überhaupt nicht vorstellen. Sie wirkte mindestens 10 Jahre jünger. Bedenkt man die historische Bedeutung des nach ihr benannten Verlages, erscheint sie im Rückblick vom Alter her sogar irgendwie zeitlos.

Ohne sie hätte es den Karin-Kramer-Verlag so (und überhaupt) wohl nicht gegeben. Den gibt es inzwischen ja schon 45 Jahre lang.

Wahrscheinlich hätte es die 68er-Jugendrevolte und den Neoanarchismus ohne diesen Verlag in der Form wahrscheinlich auch nicht gegeben, wenn ich bedenke, wie wichtig uns Anfang der 1970er Jahre die Titel des Karin-Kramer-Verlages (Underground Press L) und besonders die Zeitschrift Linkeck gewesen sind.

Karin Kramer: Eine prägnante Vertreterin der Einmaligkeit eines Menschen.

Rolf Raasch, Berlin


Karin Kramer ist tot! Von Andreas W. Hohmann / Verlag Edition AV

Mit Entsetzen haben wir heute morgen erfahren, dass Karin Kramer gestorben ist. Karin war mit ihrem Verlag eine Wegbegleiterin unsere Jugend und belieferte uns mit den Büchern, die wir lesen mussten und wollten, sie war auch eine engagierte Kollegin und Freundin. Wir haben uns nie als Konkurrenten verstanden, sondern als Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen – eine freie glückliche Welt. Karin wird uns nicht nur als „Macherin“ fehlen, sie wird auch eine Lücke in unserem Leben hinterlassen.

Karin wird stets in unseren Gedanken bleiben.

Wir trauen um Karin Kramer und wünschen Bernd viel Kraft.

Andreas W. Hohmann und das Team von Verlag Edition AV


Wir sind bestürzt. Von Lou Marin

Hier in der GWR haben bereits mehrere, die Karin persönlich kannten, ihre Trauer und ihre Bestürzung ausgedrückt. Ich schließe mich dem an. Ich hatte sie eigentlich immer nur auf Buchmessen, in Frankfurt, in Leipzig oder ab und zu bei libertären Buchmessen getroffen. Ich weiß nicht, ob ich sie dabei richtig gut kennengelernt habe, die Gespräche blieben ja doch immer ein wenig flüchtig.

Ich finde es schön, dass so viele Leute auf verschiedenen Wegen ihre Trauer ausdrücken.

Lou Marin, Marseille


Eine Reaktion von Gerhard Senft

Bin sehr betroffen über das Ableben von Karin! Ich habe sie als stets offenen, gesprächsbereiten, warmherzigen und mutigen Menschen kennengelernt! Als Autor oder Herausgeber war man im Karin Kramer Verlag immer gut aufgehoben. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, dass sie nicht mehr unter uns weilt!

Prof. Dr. Gerhard Senft, Wien


Erinnerung von Bernd und Gisela vom lAubfroschvertrieb für freiheitliche Literatur

Als wir 1974 unsere ersten drei (Karlsruher!) Volkspreishefte beim Klaus in Wetzlar druckten, war selbstverständlich eine von mir gestaltete Anzeige des Karin Kramer Verlages, nein "unseres" Karin Kramer Verlages Berlin drin. Als wir dann unseren lAubfroschvertrieb für freiheitliche Literatur mit dem dazu gehörenden Büchertisch aufbauten, war selbstverständlich das Verlagsprogramm mit auf dem Tisch (in unserem Archiv sind heute noch 2,3 oder mehr Exemplare von nicht verkauften Büchern!).

Als ich in dieser Zeit mal wieder in Berlin war und (ehrlich!!) ehrfurchtsvoll über die prall gefüllten Bücherkisten beim Karin Kramer Verlag steigen mußte kam mir schon der Gedanke "wie finanzieren die das bloß"? (auf den ich bis heute keine Antwort weiß!)

Auch wenn wir uns in den nun vergangenen Zeiten nicht wieder gesehen oder gesprochen haben, versuchen wir doch den Verlust mit Allen und insbesondere mit Bernd Kramer zu teilen.

Bernd und Gisela aus Elmstein


Manchmal hatte ich Glück. Von Elke Marsueschke

Wenn ich vormittags zu Edeka ging, wechselte ich immer die Straßenseite. Hoffte ich doch Frau Kramer hinter den Fensterscheiben ihres Geschäftes zu entdecken. Manchmal hatte ich Glück. Und manches Mal sogar grosses. Das war, wenn wir uns sahen und zuwinkten.

Das ist jetzt vorbei. Und doch werde ich weiterhin die Straßenseite wechseln und am Geschäft vorbeigehen, und hoffe, dass ich dabei immer an sie denken werde.

Elke Marsueschke


Ein Ausstellungstipp von Hansjörg Viesel

Bis zum 6.4.14 läuft bei der SPD Stresemannstraße eine Ausstellung der Fotografin Ruth Westerwelle Die Frauen der APO- die weibliche Seite von 68.

Dort ist ein sehr schönes aktuelles Porträt von Karin zu sehen, zugleich ein sehr heiteres von 1968, Karin stopft Strümpfe.

Es lohnt sich. Eintritt frei, Personalausweis erforderlich.

Hansjörg Viesel

Veranstaltung in der Bibliothek der Freien am 16.5.2014

Bibliothek der Freien Anarchistische Bücherei im Haus der Demokratie Berlin Greifswalder Str. 4, 2. Hof, Raum 1102 10405 Berlin - Prenzlauer Berg


Veranstaltung am Freitag, 16. Mai 2014, 19 Uhr

Karin Kramer (1939-2014)

Der Karin Kramer Verlag ist der traditionsreichste Verlag des deutschsprachigen Anarchismus. Sein 'Geheimnis' ist die einzigartige Kombination zweier Verlegerpersönlichkeiten: Während ihr Mann Bernd oft als Ideengeber wirkte, war Karin Kramer diejenige, die alles zusammenhielt und die immer wieder den Verlag um die harten Klippen des Überlebens navigiert hat. Sie besorgte das Geld, hielt die Finanzen zusammen und hat schweren Zeiten standgehalten, wenn der Verlag fast am Ende war. Dass es den Verlag bis heute gibt, ist ihrem großen Geschick zu danken. Die Bibliothek der Freien erinnert an eine politisch aktive Verlegerin und Anarchistin, die uns über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden war. (Eintritt frei)




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