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K (Di varheyt)
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Edelstadt hatte bis dahin nur russische Gedichte geschrieben. Die Mitarbeit in der Zeitung markiert Edelstadts Einstieg in die jiddische Literatur, denn er beginnt nun Gedichte in Jiddisch zu schreiben. Er beschreibt diesen Einstieg Jahre später so: „Für mich persönlich war das eine doppelte Herausforderung: Zusammen mit der Varheyt wurde auch meine jiddische Muse geboren, mein erstes jiddisches Gedicht. Als ich meine erste Begrüßung im Jargon für die Varheyt geschrieben habe, wusste ich noch nicht, dass meine russische Muse zu einer Jiddischen umgetauft wird und ich Israeliten zum Kampf aufrufen werde. Doch so bescherte es mir der Gott der Poesie, der golden gelockte Apollo, der, wie mir scheint, auch ein großer Antisemit sein muss, da er mir keine jiddische Muse gab.“ <ref>Marmor, S. 48</ref>48
 
Edelstadt hatte bis dahin nur russische Gedichte geschrieben. Die Mitarbeit in der Zeitung markiert Edelstadts Einstieg in die jiddische Literatur, denn er beginnt nun Gedichte in Jiddisch zu schreiben. Er beschreibt diesen Einstieg Jahre später so: „Für mich persönlich war das eine doppelte Herausforderung: Zusammen mit der Varheyt wurde auch meine jiddische Muse geboren, mein erstes jiddisches Gedicht. Als ich meine erste Begrüßung im Jargon für die Varheyt geschrieben habe, wusste ich noch nicht, dass meine russische Muse zu einer Jiddischen umgetauft wird und ich Israeliten zum Kampf aufrufen werde. Doch so bescherte es mir der Gott der Poesie, der golden gelockte Apollo, der, wie mir scheint, auch ein großer Antisemit sein muss, da er mir keine jiddische Muse gab.“ <ref>Marmor, S. 48</ref>48
  
Edelstadts erstes Gedicht in Jiddisch ist ''Tsuruf tsur varheyt''. Da er noch keine Erfahrung mit jiddischer Dichtung hat, nimmt er Winchevskys ''Tsuruf tsum arbeter fraynd'' als Muster. Doch Edelstadt findet sich in der jiddischen Sprache gut zurecht und in seinem dritten Lied ''In kamf'' orientiert er formal an den russischen Liedern, die er bis dahin geschrieben hatte. Das Lied wird ein Erfolg. Ein Jahr später stellt Morris Rozenfeld, der erfolgreichste jiddische Arbeiterdichter jener Zeit, das Lied in eine Reihe mit Winchevskys ''Marselieze'' und bezeichnet beide Gedichte als proletarische Musterlieder. Rozenfeld dichtet später:
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Edelstadts erstes Gedicht in Jiddisch ist ''Tsuruf tsur varheyt''. Da er noch keine Erfahrung mit jiddischer Dichtung hat, nimmt er Winchevskys ''Tsuruf tsum arbeter fraynd'' als Muster. Doch Edelstadt findet sich in der jiddischen Sprache gut zurecht und in seinem dritten Lied ''In kamf'' orientiert er formal an den russischen Liedern, die er bis dahin geschrieben hatte. Das Lied wird ein Erfolg. Ein Jahr später stellt Morris Rozenfeld, der erfolgreichste jiddische Arbeiterdichter jener Zeit, das Lied in eine Reihe mit Winchevskys ''Marselieze'' und bezeichnet beide Gedichte als proletarische Musterlieder. Rozenfeld bezieht sich intertextuell auf beide Gedichte:
  
 
:Singt uns jetzt das Lied „Im Kampf“!
 
:Singt uns jetzt das Lied „Im Kampf“!

Version vom 27. Mai 2014, 10:20 Uhr

Lexikon der Anarchie: Personen | Ja In Arbeit


David Edelstadt (Jiddisch: דוד עדעלשטאַט,transkr.: Dovid Edelshtat; geb. 21. Mai 1866 in Kaluga; gest. 17. Oktober 1892 in Denver); Jiddischer Dichter und Journalist.

David Edelstadt (1866-1892)


Leben

Frühe Kindheit

Die Eltern Edelstadts, Moisei Ivanovitch und Katerina Fiodorovna, lebten in der russischen Stadt Kaluga, rund 170 von Moskau entfernt. Unter den 39.000 Einwohnern befanden sich nur wenige hundert Juden, denn seit einem Erlass Katarina II. im Jahr 1791 existierten Ansiedlungsbezirke im europäischen Teil Russlands, die speziell für die jüdischen Bevölkerung geschaffen worden waren und in denen, trotz sukzessiver Rücknahme dieser Siedlungsbestimmungen im Lauf der kommenden Jahre, noch immer die meisten Juden lebten.

Moisei Ivanovitch war ein Kantonist oder, wie man es heute ausdrücken würde, ein Kindersoldat. Entsprechend der von Nikolei I. erlassenen Kantonistendekrete wurde Ivanovitch bereits im Kindesalter zur Armee eingezogen und musste dann einen Wehrdienst von 25 Jahren ableisten. Dies berechtigte ihn schätzungsweise auch zur Niederlassung in Kaluga, wo er nach dem Militärdienst zuerst als Polizist und dann in einem Sägewerk arbeitete. Die Mutter Edelstadts, Katerina Fiodorovna, ernährte insgesamt sieben Kinder. Sie verdiente sich ein Zubrot indem sie Arbeitern Kost und Logis anbot. Da in Kaluga nur die Sprösslinge wohlhabender Eltern das Gymnasium oder die Realschule besuchten und es für die Kinder niederer Klassen lediglich einige Grundschulen gab, die Eltern Edelstadts jedoch Wert auf ein Mindestmaß an Bildung legten, wurde David Edelstadt durch Privatlehrer in Russisch und Hebräisch unterrichtet. In dem Gedicht Familien-portret, geschrieben um 1885, beschreibt Edelstadt sie:

Hier ist die Mutter, die Leidende und Gute –
ich erinnere mich an deine Gestalt:
dein klarer Kopf, die Liebe deine,
umflochten voller Sorge und Leid.

[…]

Und du mein Vater, in Gedanken verloren,
grau und getreu,
atmest von deinem Bild voll Zärtlichkeit,
voll ehrlichem Patriarchat. [1]

In Kaluga beginnt Edelstadt auch seine Laufbahn als Dichter: "Ich war damals 15 Jahre alt und wohnte bei meinen Eltern in der Stadt Kaluga. Schon damals nannten mich meine Freunde und Bekannte „Poet“. Ich schrieb russische Gedichte. Meine Leidenschaft für Poesie, insbesondere für die russischen Dichter Nikitin und Nekrassow, wurde schon früh in meinem Herzen entfacht. Ich verbrachte viele Tage und Nächte über ihren meisterhaften Schilderungen über das Leiden und die Sorgen des russischen Volkes."[2]

Von Kiew nach Amerika

Als Jugendlicher geht Edelstadt nach Kiew, wo er in der Schusterei eines seiner älteren Brüder arbeitet. Es ist eine Zeit in welcher die zaristische Regierung die revolutionäre Bewegung bekämpft indem sie chauvinistischer und antisemitische Einstellungen fördert. Am 8. Mai 1881 organisieren Regierungsstellen ein antijüdisches Pogrom in Kiew, das der junge Edelstadt miterlebt. Er wird daraufhin krank und muss in einem Spital behandelt werden. Die antisemitische Stimmung in Land nimmt in den Folgejahren zu. Die Stürme des Südens, wie die Pogrome in Kiew und Odessa später von jüdischen Autoren genannt werden sollten, veranlassten eine Auswanderungswelle unter der jüdischen Bevölkerung Russlands. Auch Edelstadt gehört dazu. Er schließt sich einer Studentengruppe an, die plant eine landwirtschaftliche Kolonie auf Basis des Kommunismus zu gründen und er will seinen Brüdern nahe sein, von denen bereits zwei in Vereinigten Staaten von Amerika leben.

Am 30. Mai 1882 erreicht Edelstadt Philadelphia. Noch am gleichen Tag reist die Gruppe nach New York und nachdem sie am Bahnhof ausgestiegen sind, stellen sie sich in einer Reihe auf und singen revolutionäre Lieder. Es ist der Memory Day, an denen die amerikanische Bevölkerung ihren Gefallenen gedenkt. Es finden Umzüge statt. Zuerst denkt die Gruppe, man hätte ihre Ankunft zum Anlass einer Feier genommen, doch als sie von Kindern mit Steinen beworfen werden, klärt sich dieses Missverständnis auf.

Journalistische Tätigkeiten

Di varheyt

Di varheyt war die erste jiddische Zeitung in den Vereinigten Staaten von Amerika, die von einer Arbeiterorganisation, den „Pionern fun frayheyt“, herausgegeben wurde. Sie sollte unparteiisch sein, wie der Londoner Arbeter fraynd, für den Rudolf Rocker tätig war. Als Chefredakteur war ursprünglich der Urvater der radikalen politischen, jiddischen Dichtung Morris Winchevsky vorgesehen, als dies jedoch nicht klappte, übernahmen Joseph Jaffa das Amt. Zwei weitere Redaktionsmitglieder wurden ausgewählt: Hilel Zolotarov und David Edelstadt.

Edelstadt hatte bis dahin nur russische Gedichte geschrieben. Die Mitarbeit in der Zeitung markiert Edelstadts Einstieg in die jiddische Literatur, denn er beginnt nun Gedichte in Jiddisch zu schreiben. Er beschreibt diesen Einstieg Jahre später so: „Für mich persönlich war das eine doppelte Herausforderung: Zusammen mit der Varheyt wurde auch meine jiddische Muse geboren, mein erstes jiddisches Gedicht. Als ich meine erste Begrüßung im Jargon für die Varheyt geschrieben habe, wusste ich noch nicht, dass meine russische Muse zu einer Jiddischen umgetauft wird und ich Israeliten zum Kampf aufrufen werde. Doch so bescherte es mir der Gott der Poesie, der golden gelockte Apollo, der, wie mir scheint, auch ein großer Antisemit sein muss, da er mir keine jiddische Muse gab.“ [3]48

Edelstadts erstes Gedicht in Jiddisch ist Tsuruf tsur varheyt. Da er noch keine Erfahrung mit jiddischer Dichtung hat, nimmt er Winchevskys Tsuruf tsum arbeter fraynd als Muster. Doch Edelstadt findet sich in der jiddischen Sprache gut zurecht und in seinem dritten Lied In kamf orientiert er formal an den russischen Liedern, die er bis dahin geschrieben hatte. Das Lied wird ein Erfolg. Ein Jahr später stellt Morris Rozenfeld, der erfolgreichste jiddische Arbeiterdichter jener Zeit, das Lied in eine Reihe mit Winchevskys Marselieze und bezeichnet beide Gedichte als proletarische Musterlieder. Rozenfeld bezieht sich intertextuell auf beide Gedichte:

Singt uns jetzt das Lied „Im Kampf“!
Donnern soll die „Marsellaise“! [4]

Edelstadts Tätigkeit für Di varheyt beschränkte sich nicht nur auf Dichtung. Er schreibt Adressen auf Postsendungen und erledigt anfallende redaktionelle Arbeiten. Als die Herausgabe des Blattes am 12. Juli 1889 eingestellt wird, zieht Edelstadt nach Cincinatti.

Di arbeter tsaytung

Fraye arbeter shtime

Gedichte

Anarchie

Eine Welt ohne Herrscher, ohne Ketten, ohne Tränen,
eine Welt voller Liebe und Harmonie,
wo des einen Glück wird des Zweiten nicht stören;
das ist Anarchie!
Eine Welt in der niemand regiert
über des anderen Arbeit und Müh;
frei werden die Herzen und Seelen sein;
das ist Anarchie!
Eine Welt in der Freiheit jeden beglückt,
den Schwachen und Starken, den Er und die Sie,
deins und meins wird niemanden drücken;
das ist Anarchie!
Eine Welt in der die Liebe nichts weiß,
vom schändlichem Handel, frei wird sie
in eine liebende Brust glücklich genießen;
das ist Anarchie!
Eine Welt wo Kirchen und Synagogen,
verwandelt werden in Ställe fürs Vieh,
alle Galgen und Kerker werden zerschlagen;
das ist Anarchie!
Eine Welt wo der freie Geist aufbricht
den finsteren Turm der Theologie,
vernichten die Ursache aller Verbrechen;
das ist Anarchie!
Eine Welt wo Gewehre, Kanonen und Kronen,
alle blutigen Zeichen der Monarchie,
verlassen in Museen stehen;
das ist Anarchie!
Eine Welt wo die Sonne erhebt,
die Kunst, die Wissenschaft und die Industrie,
eine Welt voller Wissen – nicht Glauben;
das ist Anarchie!
Geschätzt wird sein jedes menschliche Wesen,
wie die ganze Menschheit, heilig wie sie,
Freiheit wird alles erquicken, erlösen;
das ist Anarchie! [5]


Autor: Marcel Gruber

Bibliographie

Quellen

  • Battenberg, Friedrich: Das Europäische Zeitalter der Juden. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990.
  • Edelstadt, David: Edelshtat's folks-gedikhte. Naye folshtendige oysgabe fun alle zayne lieder, New York: Hebrew Publishing Company, 1907.
  • Marmor, Kalmon: Dovid Edelshtat. New York: Yidisher Kultur-Farband YKUF, 1950

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Weblinks


Anmerkungen

  1. Marmor, S. 247
  2. Marmor, S. 19
  3. Marmor, S. 48
  4. Marmor, S. 50
  5. Edelstadt, S. 142


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