Michael Schmidt / Lucien van der Walt: Black Flame
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autor/en: | Michael Schmidt / Lucien van der Walt |
Titel: | Black Flame. The Revolutionary Class Politics of Anarchism and Syndicalism |
Editoriales: | - |
Verlag: | AK Press |
Erscheinungsort: | Oakland, CA |
Erscheinungsjahr: | 2009 (Februar) |
Umfang, Aufmachung: | Originalausgabe. Kartoniert, 395 Seiten. Offizieller Blog |
ISBN: | (ISBN-13:) 978-1904859161 |
Preis: | 22,90 EUR |
Direktkauf: | Deutsche Ausgabe (Edition Nautilus 2013) - direkt erhältlich bei aLibro |
Black Flame:
The Revolutionary Class Politics of Anarchism and Syndicalism
Eine Empfehlung für ein Buch zu verfassen, das bereits vor vier Jahren (Februar 2009) erschienen ist, spricht vermutlich schon für die herausragende wissenschaftliche Qualität desselben. Black Flame, ein gemeinsames Werk der südafrikanischen Anarchismus-Forscher Lucien van der Walt und Michael Schmidt, begibt sich auf eine Neuerkundung anarchistisch-syndikalistischer Theorie- und Bewegungsgeschichte, die es in sich hat – im wahrhaft doppelten Wortsinn. Denn ihre dokumentarische, wenngleich tendenziöse Darstellung bietet nicht nur einen ungeheuren Fundus an Quellen, sondern wird zudem noch begleitet von einem höchst kontroversen Definitionsversuch der „broad anarchist tradition“. Dieser Versuch operiert am Körper des seit Beginn des 20. Jahrhunderts publizistisch gepflegten anarchistischen Selbstbildnisses: dem Kanon des Anarchismus.
Das selbsterklärte Ziel ihrer Operation besteht in einem geschärften Blick auf den Anarchismus, den die beiden Autoren für umso nötiger halten, weil selbst dieser Tradition wohlgesonnene Darstellungen (z.B. Peter Marshalls „Demanding The Impossible“), anarchistische Kernideen gleichsam missverstanden und ihre historische Reichweite unterschätzt hätten (S. 8). Entgegen solcher Überblicksdarstellungen handele es sich beim Anarchismus nicht um eine zeitlose, stets in Rebellionszeiten wiederkehrende Idee von Menschen, die sich gegen Herrschaft im Namen individueller Freiheit wenden. Eine derart lockere Vorstellung führe mindestens zu zwei Konsequenzen, z.B. zu der irrigen Annahme, der Anarchismus sei „möglicherweise in der menschlichen Natur verwurzelt“ (S. 34) oder dem neuerlich häufig anzutreffenden Trend, so genannte Anarcho-Kapitalisten in die ideengeschichtliche Tradition mit aufzunehmen (S. 35). Lucien van der Walt und Michael Schmidt plädieren daher für eine angemessene geschichtliche Einordnung (= Historisierung) anarchistischen Denkens und Handelns.
Im Anarchismus sehen beide eine „libertäre Form von Sozialismus“, seien doch für ihn „individuelle Freiheit und Individualität extrem wichtig“ und „werden am besten im Kontext von Demokratie und Gleichberechtigung entwickelt.“ Ihre positive Entwicklung werde allerdings massiv behindert durch Klassenherrschaft und das Grundbesitzertum („landlordism“) der modernen Gesellschaft, so Schmidt und van der Walt. Durch „Klassenkampf und eine Revolution, die eine freie sozialistische Gesellschaft, basierend auf Gemeineigentum, Selbstverwaltung, demokratischer Planung von unten, sowie Produk-tion für Bedürfnisse, nicht für Profit, hervorbringt“ könne eine „soziale Ordnung“ geschaffen werden, die individuelle Freiheit ermöglicht (S. 6).
Insofern erfolgt für ihr Vorhaben eine Eingrenzung der „breiten anarchistischen Tradition“ auf den Syndikalismus (S. 7), wobei sie als verbindliche „Schlüsselfiguren“ Michael Bakunin und Peter Kropotkin benennen. Libertäre Kämpfe können zwar immer wieder durch die Menschheitsgeschichte hindurch ausgemacht werden; die anarchistische Bewegung aber „entstand erst als identifizierbare und selbst-identifizierte Strömung, als soziale Bewegung und politische Kraft ab späten 1860ern […], datierend auf die Erste Internationale, Bakunin und der Allianz“ (S. 44).
Personen, die in gängigen Überblickswerken dem anarchistischen Kanon zugeordnet werden, wie William Godwin, Max Stirner, Pierre-Joseph Proudhon und auch Leo Tolstoi, gehören hingegen für die Autoren nicht in diese Tradition. Dazu führen die beiden zwar plausible Gründe an, wobei es jedoch uneinsichtig bleibt, warum es für politische Organisierungsfähigkeit schädlich sein soll (vgl. S. 243f.), Impulse dieser Denker für das libertär-sozialistische Denken auszuschließen. Gerade im Bereich der Gewaltkritik könnte sich der Ansatz von „Black Flame“ durch Leo Tolstoi und anderen pazifistischen Einsichten belehren lassen. Zudem erinnert die in diesem Buch unternommene Revision des Kanons häufig an veraltete Binnenkonflikte zwischen individualistischen und gemeinschaftlich orientierten Anarchist/innen. Die Autoren wählen eine neue Aufgliederung, um die Genealogie der „broad anarchist tradition“ zu veranschaulichen und um den von ihn gewählten Terminus „Massenanarchismus“ im Verlauf des Textes weitere Schärfe zu verleihen (siehe Infografiken, S. 114 und 171). Trotz grundsätzlicher Zweifel an ihren Prämissen, ist es Schmidt und van der Wal allerdings hoch anzurechnen für definitorische Klarheit sorgen zu wollen. Dabei überzeugen sie mit ihrer Kritik an gängigen Definitionen des Anarchismus, die Prinzipien von anti-Herrschaft bzw. anti-Staatlichkeit als Alleinstellungsmerkmal festschreiben.
Für Leute, die bereits mit anarchistischer Theorie vertraut sind, enthält „Black Flame“ lesenswerte Neubewertungen von taktischen und strategischen Fragen, die sich organisierte Anarchist/innen stellten, sowie eine Justierung der Bewegungsgeschichte. So widerlegen die Autoren zum Beispiel die „Spanischen Ausnahmerolle“, d.h. die Vorstellung, es sei alleine in Spanien gelungen, eine anarchistische Massenbewegung aufzubauen. Die von Schmidt und van der Walt durchweg eingenommene globale Perspektive zeigt demgegenüber, dass der Syndikalismus auch in anderen Ländern, z.B. in Japan und China, aber vor allem in Südamerika, eine Rolle gespielt hat (Kapitel 9).
Im zehnten Kapitel (von insgesamt elf) werden Fragen zum Internationalismus, Rassismus, Imperialismus sowie zur Gender-Problematik in den Fokus genommen. Ein willkommener Blick über den Tellerrand syndikalistischer Historisierung der vorangegangenen Kapitel, jedoch gleichsam eingebettet in dieselbiege klassenkämpferische Geschichtsschreibung, welche Gefahr läuft, die Notwendigkeit zur Bekämpfung von Diskriminierung jenseits des Arbeitskampf zu relativieren. Fairerweise nehmen Schmidt und van der Walt diesen kritischen Punkt allerdings vorweg (vgl. S. 335).Die Operation von „Black Flame“ ist gelungen, auch wenn die kontroverse Haltung der ersten Kapitel die Rechercheleistung des Gesamtwerks überschattet. Obgleich das vierhundertseitige Buch ein syndikalistisches Korsett kennzeichnet, überwiegt doch der positive Gesamteindruck. Dank Lucien van der Walt und Michael Schmidt rückt auch der radikaldemokratische Anspruch des Anarchismus und die mit ihm untrennbar verbundene anti-kapitalistische Position wieder ins Zentrum seriöser Auseinandersetzungen mit dieser politischen Theorietradition. Interessierte Leser/innen und die Anarchismus-Forschung können sich auf die noch in der Zukunft liegende Veröffentlichung des zweiten Bandes „Global Fire“ freuen!
Dominique Miething
Berlin, Januar 2013
INHALT
Preface, by Stuart Christie [1]
- Acknowledgements [3]
- Chapter 1: Introduction [5]
Part 1 Theory and Analysis
- Chapter 2: Socialism from below: defining anarchism [33]
- Chapter 3: Proudhon, Marx, and anarchist social analysis [83]
Part 2 Strategy and Tactics
- Chapter 4: Roads to revolution: mass anarchism versus insurrectionist anarchism [123]
- Chapter 5: Anarchism, syndicalism, the IWW, and labour [149]
- Chapter 6: Ideas, structure, and armed action unions, politics, and the revolution [181]
- Chapter 7: Dual unionism, reforms, and other tactical debates [211]
- Chapter 8: Militant minority: the question of anarchist political organization [239]
Part 3 Social Themes
- Chapter 9: The class character and popular impact of the broad anarchist tradition [271]
- Chapter 10: Anarchist internationalism and race, imperialism, and gender [297]
- Chapter 11: Conclusion to volume 1 and prologue to volume 2. [347]
ANHANG:
- Bibliography [349]
- Index [377]