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Marianne Kröger: Das "Individuum als Fossil": Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 30. November 2016, 09:58 Uhr

Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: 978-3-89796-186-9.gif
Autorin: Marianne Kröger
Titel: Das "Individuum als Fossil" – Carl Einsteins Romanfragment "BEB II"
Untertitel: Das Verhältnis von Autobiographie, Kunst und Politik in einem Avantgardeprojekt zwischen Weimarer Republik und Exil.
Editorial: Komparatistik im Gardez! Hrsg. v. Werner Nell, Carola Hilmes u. Winfried Eckel. Band 5
Verlag: gardez! verlag
Erscheinungsort: Remscheid
Erscheinungsjahr: 2007
Umfang, Aufmachung: 1. Auflage 2007. 428 Seiten. DIN A5. Broschur. Personen- und Namensregister, Literaturverzeichnis.
ISBN: (ISBN-13:) 978-3-89796-186-9
Preis: 39,90 EUR
Direktkauf: bei aLibro, der DadAWeb-Autorenbuchhandlung


Beschreibung

Die Studie von Marianne Kröger ist die gekürzte und überarbeitete Fassung ihrer 2003 erschienenen Dissertation am Fachbereich Neuere Philologien der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Das Werk macht es sich zur Aufgabe, weitere Bestandteile von Leben und Werk des deutsch-jüdischen Schriftstellers, Lyrikers, Kunstkritikers und -historikers, Herausgebers und politisch engagierten Intellektuellen Carl Einstein (1885-1940) zu erhellen.

Carl Einsteins Romanfragment "BEB II", ursprünglich als Fortsetzung seines Erstromans "Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders", aber auch als Weiterführung seines literarisch-experimentellen Schreibprojekts konzipiert, ist bisher unveröffentlicht und befindet sich im Carl-Einstein-Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Es spiegelt das Selbstverständnis seines Autors über einen Zeitraum von nahezu zwanzig Jahren wider und lässt sowohl Brüche als auch Kontinuitäten, thematische Verschiebungen und autobiographische Anspielungen als auch reflektierte zeitgenössische Diskurse erkennen. Da das Konvolut noch kein abgeschlossenes literarisches Œuvre darstellt, sondern über Konzeptionsnotizen, Gliederungsentwürfe, Stichwörter und wenige ausgearbeitete literarische Passagen nicht hinausgelangt ist, unternimmt die vorliegende Studie den Versuch, die thematischen Schwerpunkte vor dem Hintergrund des zeitgeschichtlichen Kontextes herauszuarbeiten. Dabei wird aufgezeigt, dass insbesondere drei Motivkreise für Einsteins "BEB II" eine zentrale Rolle spielen sollten: die autobiographische Dimension, der kritische politisch-historische Epochenrückblick angesichts der NS-Machtübernahme sowie die Frage nach dem Ursprung und Sinn künstlerischer Aktivitäten.

Im ersten Teil der Studie werden weitere, teilweise unbekannte biographische Fakten zu Einstein präsentiert, dessen Lebensstationen Neuwied, Karlsruhe, Berlin, Paris und Barcelona umfassten. Der zweite Teil widmet sich der bisherigen Rezeption sowie der thematischen (Re-)Konstruktion des "BEB II"-Fragments. Im dritten Teil wird ein Vergleich zwischen Einsteins Debütroman "Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders" und "BEB II" gezogen.

Insgesamt erweist sich der in BEB II nachgezeichnete Existenzentwurf des kritischen Intellektuellen in seiner widersprüchlichen und aussichtslosen gesellschaftlichen Position - kontemplativ und engagiert zugleich - als sehr weitsichtig. Die Ambivalenz zeichnet sich dadurch aus, dass er einerseits auf seiner subjektiven und künstlerischen Freiheit beharrt, sich andererseits aber durchaus kollektivere Arbeits- und Lebensbedingungen ersehnt, und obwohl er völlig einflusslos geworden ist, gibt er die Hoffnung nicht auf, durch seine Arbeit gleichwohl einen subversiven Beitrag zur Realitätsveränderung zu leisten.

Erschreckend realistisch ist ebenso die Vorwegnahme seines Untergangs. Dies galt ja nicht nur für das Dritte Reich und die von seiner Wehrmacht okkupierten Länder, sondern betraf auch Schriftsteller und Künstler im stalinistischen Machtbereich wie Isaak Babel, Boris Pilnjak, Michail Kolzow, deutsche Exilanten wie Ernst Ottwalt, Carola Neher und viele andere, mit denen Einstein zum Teil gut bekannt war. Das scheiternde Individuum auf der einen Seite - die falschen, immer mächtiger werdenden Kollektive auf der anderen - dies kann als Grundkonstellation in Einsteins Romanfragment BEB II gewertet werden, für das die Krise in allen Bereichen konstitutiv ist und letztlich dadurch dessen Zustandekommen als Kunstwerk verhindert hat.

Carl Einstein, Zeichnung von Ludwig Meidner, 1913

Marianne Kröger macht in ihrer Studie deutlich, dass sich Einsteins BEB II-Romanfragment selbst in seiner unabgeschlossenen Form durch sein hohes Niveau mit den wichtigsten literarischen Produkten der Zwischenkriegszeit messen kann. Trotz seiner Unvollständigkeit besitzt es nicht nur einen literaturhistorischen, sondern auch durchaus noch eine Aussagekraft für die Gegenwart: Es bewahrt die politische Katastrophenerfahrung seiner Epoche und den historischen Moment des Zusammenbruchs der Position des aufklärerisch-kritischen, autonomen Intellektuellen, um sie als vertiefte geschichtliche Erfahrung dem kollektiven Gedächtnis zu überantworten.

Carl Einstein wirft in seinem Werk Fragestellungen auf, für die er keine Lösungen anbietet, etwa zum Verhältnis Individuum und gesellschaftliche Macht. Einstein war anderen engagierten Autoren wie beispielsweise Brecht damals bereits voraus, indem er schon früh sowohl an den idealistischen Vorstellungen von einer heroisch kämpfenden Arbeiterbewegung als auch an der Vorbildfunktion von aufoktroyierten Parteibeschlüssen zweifelte. Stattdessen entdeckte er die Anziehungskraft des Nationalsozialismus auf ausgerechnet diejenigen, die eigentlich der Theorie zufolge das revolutionäre Subjekt hätten verkörpern sollen.

Es bleibt der Widerspruch, der in BEB II dargestellt wird und den auch Einstein nicht auflösen konnte: Wenn einerseits das Individuum durch Gewalt, Krieg, Verdinglichung und ökonomische Notlagen so geschwächt ist und keinen romantischen autonomen Helden mehr abgibt, wer sollte dann der Garant für die moralisch-ethisch fundierte revolutionäre Utopie sein, für Zivilcourage, Engagement und Bewusstseinsarbeit? Und wie wäre ein Umkehrprozess vorstellbar und einzuleiten, der zu einer Gesellschaft führen könnte, in der die persönliche Freiheit der Subjekte nicht im Gegensatz stünde zu solidarischeren Lebensentwürfen, denen soziale Verantwortung, Friedfertigkeit und Toleranz inhärent wären?


Inhalt

Danksagung

Vorwort von Sybille Penkert

Einleitung
I. Carl Einstein 1922-1940 - Ein Leben zwischen Kunst und Politik
1. Von 1922-1928: Die ,Weimarer' Jahre in Berlin
2. Die Jahre 1928-1936: Übersiedlung nach Frankreich und der Schock des Exils
3. Die Jahre 1936-1939: Als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg
4. Die Jahre 1939-1940: Als feindlicher Ausländer' in Frankreich in der Falle
5. Fazit

II. Zur Rezeption des BEB //-Projekts

III. Das Romanfragment BEB II
1. Materialbefund
2. Wahl der Gattung
3. Strukturelle (Re-)Konstruktion
3.1 Titulierung
3.2 Romansegmente
3.3 Kapitelkonzeption
3.4 Erzählgerüst nach intentionalen Notizen
3.5 Figuren
3.5.1 Figuren mit Eigennamen
3.5.1.1 Figuren hohen Komplexitätsgrades mit Eigennamen
3.5.1.2 Figuren mittlerer Komplexität mit Eigennamen
3.5.1.3 Figuren geringerer Komplexität mit Eigennamen
3.5.2 Namenlose Figuren
3.5.2.1 Namenlose Figuren höheren Komplexitätsgrades
3.5.2.2 Namenlose Prototypen
3.6 Räumliche Konfiguration
3.7 Zeitliche Konfiguration
3.8 Erzählverfahren
4. Thematische Rekonstruktionen von BEB II
4.1 Der erkennbare Stoff- Versuch einer Inhaltsangabe
4.2 Gegen die Fiktion des unbedingten Individuums - Die autobiographische Dimension in BEB II
4.2.1 Die verifizierbaren biographischen Übereinstimmungen
4.2.2 Einsteins Kritik am autobiographischen Schreiben
4.2.2.1 Der bürgerlich-liberale Individualitätsbegriff als Ideologie
4.2.2.2 Die Entpersönlichung in der Kunst
4.2.3 Das Autobiographische als Folie
4.2.3.1 Verfremdung durch Kontrastierung
4.2.3.2 Verfremdung als mentalitätsgeschichtliche Darstellung
4.2.3.3 Verfremdung als Verarbeitungstechnik
4.3 Epochendiagnose - Die historisch-politische Dimension in BEB II
4.3.1 Die Vorkriegsära des Wilhelminismus
4.3.1.1 Kindheit und Revolte
4.3.1.2 Der Karlsruher Hau-Prozess
4.3.2 Der Erste Weltkrieg und seine Folgen
4.3.3 Die Weimarer Republik
4.3.3.1 Die Novemberrevolution
4.3.3.2 Ökonomie, Politik und Justiz
4.3.3.3 Kommunismus - Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis
4.3.3.4 Freikorps und NSDAP - Die Gegner von rechts
4.3.3.5 Emigration und Exil - „dieses nirgendwosein"

IV. Der frühe Bebuquin-Roman und BEB II im Vergleich

V. Schlussbetrachtung

Anhang

  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Personen- und Namensregister


Über die Autorin

Kroeger.jpg

Marianne Kröger, Jahrgang 1959, Studium der Germanistik, Politikwissenschaften und Lateinamerikanistik in Frankfurt am Main (Dr.phil). Mitglied der Carl-Einstein-Gesellschaft/Société-Carl-Einstein, der Gesellschaft für Exilforschung und des Arbeitskreises "Frauen im Exil". Abgesehen von den Publikationen zu Carl Einstein auch Veröffentlichungen zu den Themenbereichen Exilliteratur, Spanischer Bürgerkrieg, zeitgenössische Literatur sowie Exilpresse und -literatur in den Niederlanden, NS-Zeit, Holocaust-Literatur und Literatur der Zweiten Generation, Autobiographie- sowie Zeitzeugenforschung.

Buchveröffentlichung (als Hrsg., Übersetzerin, Verfasserin der Kurzbiographie, der Anmerkungen und des Nachworts): Etta Federn: Revolutionär auf ihre Art. Von Angelica Balabanoff bis Madame Roland. Gießen 1997. Tätig als Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, freie Publizistin, Übersetzerin aus dem Niederländischen und Spanischen sowie als Dozentin im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Mitarbeiterin beim Lexikon der Anarchie.



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